Sehr geehrter Herr Nationalrat Wasserfallen

Vor ein paar Wochen hat das „Mannschaft Magazin“ Ihnen einen offenen Brief geschickt, in welchem es Ihnen sein Bedauern zu Ihrem Abstimmungsverhalten bezüglich der Petition, die Adoptionsrechte für homosexuelle Paare fordert, mitgeteilt hat. Auf diesen Brief haben Sie folgendermassen geantwortet:

„Danke für Ihre Stellungnahme. Ich gebe es offen zu, dass ich zwar in wirtschaftlichen Belangen liberal bin, das aber bei gesellschaftlichen Fragen nicht so ist. Ich bin nicht überzeugt davon, dass gleichgeschlechtliche Paare auch Eltern sein sollen. Das entspricht nicht meinen persönlichen Grundhaltungen. Diese Diskussion ist denn auch gar nicht rein argumentativ zu führen sondern basiert halt wirklich auf individuellen Grundwerten. In der Politik gibt es auch die Situation, wo man einmal verliert und ein anderes Mal gewinnt. Danke für Ihre Kenntnisnahme.“

Quelle: Mannschaft Magazin

Bitte erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen dazu. Es ist bereits schlimm genug, dass die Mehrheit der Nationalrätinnen und Nationalräte der angeblich liberalen FDP gegen die Aufhebung des Adoptionsverbotes für homosexuelle Paare gestimmt haben. Ihre Antwort ist aber nicht nur als liberaler Sicht erschütternd.

Immerhin haben Sie zugegeben, dass Sie nur in wirtschaftlichen Belangen liberal sind, nicht aber in gesellschaftlichen. Mich wundert das zwar, weil die FDP sich immer gerne als die liberalste Partei der Schweiz darstellt, aber im Falle dass Sie an Ihrer Position festhalten, bin ich mir sicher, dass Sie dafür sorgen werden, dass die FDP von nun an nicht als „FDP – die Liberalen“, sondern als „FDP – die wirtschaftsliberalen Konservativen“ auftreten wird.

Nun aber zur Kernaussage Ihres Schreibens. Sie sagen, dass Sie gegen die Aufhebung eines Verbotes sind, dies aber argumentativ nicht begründen können?! Sie, als Nationalrat einer Partei, die sich immer gegen Verbote stellt und für möglichst wenig Einmischung des Staates gegenüber dem Volk ist („mehr Freiheit, weniger Staat“ stammt doch von Ihrer Partei), wollen also ein staatliches Verbot aufrecht erhalten, obwohl Sie nicht mal Argumente dafür haben und sich einzig auf eine „persönliche Grundhaltung“ stützen? Sie rechtfertigen aber nicht nur ein Verbot, sondern eine offensichtliche Diskriminierung und eine stossende Rechtsungleichheit mit Ihren „individuellen Grundwerten“? Eine solche Haltung könnte man vielleicht von kleinen Kindern oder fundamentalistischen Christen erwarten, aber nicht von einem gewählten Nationalrat, der als einer seiner politischen Schwerpunkte die Stärkung der Bildung nennt. Dies macht die Sache umso schlimmer. Wären wir hier in einem Strafrechtsprozess könnte man beim fundamentalistischen Christen noch von einer gewissen Unzurechnungsfähigkeit sprechen. Bei Ihnen hingegen müsste man von einer Absicht und vollen Schuldfähigkeit ausgehen!

Da Sie ja keine Argumente (bis auf Ihre Grundhaltung, was eben kein Argument ist), zu haben scheinen, hier ein paar Fakten, die sich vielleicht doch auf Ihre Grundhaltung auswirken dürften:

  • In acht Ländern Europas ist es homosexuellen Paaren erlaubt, Kinder zu adoptieren. Dazu gehören sowohl das katholisch geprägte Spanien, als auch die fortschrittlichen skandinavischen Länder (gemäss Ihrer Website immerhin Ihre Lieblingsferiendestination). Die Hälfte der amerikanischen Bundesstaaten erlauben homosexuellen Paaren die Adoption ebenfalls. Bemerkenswert dabei ist besonders, dass die Adoption sogar in ultra konservativen Staaten wie Tennessee oder Alaska erlaubt ist. Sogar also in jenen Staaten, in welchen die Konservativen erbittert gegen die Homoehe kämpfen, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Homosexuelle gute Eltern sein können.
  • Weitere Länder, die das volle Adoptionsrecht kennen, sind unter anderem die ebenfalls eher konservativen Länder Argentinien, Uruguay und Brasilien.
  • Dazu kommen zahlreiche Länder, welche die Stiefkindadoption kennen.
  • Die Frage, wie Kinder bei homosexuellen Eltern aufwachsen, ist in unzähligen Studien bereits untersucht worden. Die wohl bekannteste Studie ist die 2009 veröffentlichte Studie der Universität Bamberg, die belegt, dass Kinder von homosexuellen Eltern gleich gut wie bei heterosexuellen Eltern aufwachsen. Sämtliche Studien, die auf diesem Bereich durchgeführt wurden, kamen zum selben Schluss.  Die Forschung, deren Förderung Sie ja als eines Ihrer politischen Schwerpunkte genannt haben, ist hier also einer Meinung.
  • In der Schweiz leben heute schätzungsweise 6’000 – 30’000 Kindern bei homosexuellen Paaren. Diese Kinder leben heute in einer völlig rechtsfreien Situation. Mindestens ein Elternteil braucht immer eine Vollmacht, wenn er oder sie die Kinder aus der Krippe abholen, zum Arzt bringen oder an Elterngesprächen teilnehmen wollen. Stirbt der leibliche Elternteil kann das Kind seinem anderen Elternteil weggenommen werden, stirbt der andere Elternteil, hat das Kind keinerlei Erbrechte. Dies führt also dazu, dass Kinder die Leidtragenden sind.
  • Wenn ich als homosexueller, aber alleinstehender Mann ein Kind adoptieren will, kann ich das. Sobald ich mit meinem Partner aber ein Kind adoptieren will, kann ich das nicht mehr. Das Gesetz erlaubt es also, dass ich alleine ein Kind adoptiere, mit meinem Partner aber nicht. Das Kind soll also lieber nur einen statt zwei Elternteile haben. Finden Sie das logisch?
  • Dass das Adoptionsverbot für homosexuelle Paare eine Diskriminierung und rechtsstaatlich bedenklich ist, hat sogar die Rechtskommission des Nationalrats anerkannt. Aber auch der Europäische Menschenrechtshof ist dieser Ansicht.

So viel zu den Fakten.

Geradezu an menschenverachtender Arroganz grenzt Ihre Aussage, dass es in der Politik Situationen gibt, wo man einmal verliert und ein anderes Mal gewinnt. Bitte was? Gerade Sie, als eine Person, die nicht zuletzt dank der Bekanntheit Ihres Vaters eine steile politische Karriere hinlegen konnten, sollten in dieser Frage etwas sensibilisierter sein. In dieser Frage geht es nicht um einen Fussballmatch wo man einmal gewinnt und einmal verliert. Es geht nicht um ein politisches Powerplay. Es geht nicht um eine Wahl in ein Parlament. Es geht um das Leben von Kindern! Es geht um verbaute Zukunftschancen von Kindern, die ohne Eltern aufwachsen, dies aber könnten! Es geht darum, Kindern Elternliebe zu verweigern! Können Sie allen ernstes einem Kind, das gerne bei zwei liebenden Eltern aufwachsen würde in die Augen schauen und sagen „tja, ich habe zwar keine Argumente, aber meine Grundhaltung will jetzt nicht, dass du die Chance auf Elternliebe erhälst, manchmal verliert man eben, Pech gehabt, Kumpel“?!

Die Fakten haben wir schliesslich behandelt. Aber da Sie aus „persönlicher Grundhaltung“ gegen die Aufhebung des Adoptionsverbotes sind, versuche ich es noch mit folgenden Überlegungen:

Stellen Sie sich vor, Sie und Ihre Partnerin würden gerne ein Kind adoptieren. Nun kommt das Parlament und sagt, dass es ein Adoptionsverbot für Wasserfallens geben sollte. Einen Grund dafür braucht es keinen, schliesslich ist das die persönliche Grundhaltung des Parlaments. Wäre das für Sie in Ordnung?

Oder stellen Sie sich vor, Sie leben mit einer Partnerin zusammen, die bereits ein Kind hat. Das Kind wächst bei Ihnen auf, nach zwölf Jahren verunfallt aber die Mutter des Kindes und stirbt. Sie können das Kind gesetzlich aber nicht adoptieren, weil das den Wasserfallens dieses Landes halt nicht erlaubt ist. Das Kind könnte Ihnen weggenommen werden. Pech gehabt, Mann, manchmal verliert man im Leben!

Wie Sie sehen gibt es also überhaupt keinen Grund, weder einen persönlichen, geschweige denn einen wissenschaftlichen, um das Adoptionsverbot aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund appelliere ich an Ihr liberales Gewissen (unnötige staatliche Verbote abzuschaffen), an Ihr wissenschaftliches Verständnis (Erkenntnisse sämtlicher Studien, dass Kinder bei homosexuellen Eltern gut aufwachsen), an Ihre menschlichen Gefühle (Kindern ein gutes zu Hause zu ermöglichen), an Ihr rechtsstaatliches Verständnis (keine gesetzliche Diskriminierung homosexueller Paare) und an Ihren gesunden Menschenverstand (alle oben genannten Punkte zusammen): Noch ist es nicht zu spät! Im Parlament sind zwei Motionen hängig, die Adoptionsrechte für homosexuelle Paare fordern.

Ich bitte Sie, Ihrer liberalen Etikette gerecht zu werden und beiden Motionen zuzustimmen und dieses Land zu einem fortschrittlichen und besseren Ort zu machen, wo das Kindeswohl und keine konservativen Denkweisen im Vordergrund stehen!

Besten Dank!

Freundliche Grüsse

Alan David Sanginés