Bald ist es soweit, am 10. Dezember 2011 findet die Endausscheidung des Eurovision Contest in der Schweiz statt. 14 Finalisten treten gegen einander an, um von uns an den Eurovision Song Contest 2012 in Baku (Aserbaidschan) geschickt zu werden.

Während sich Europa auf das jährliche Musikspektakel freut, bereitet sich auch Aserbaidschan vor. Während andere Länder damit beschäftigt wären, logistisch einen guten Ablauf vorzubereiten, reicht dies der Regierung in Aserbaidschan nicht. Diese bereitet sich nämlich auch politisch vor und sorgt dafür, dass sämtliche Kritik an der Regierung im Keime erstickt werden. Schliesslich will Aserbaidschan gut dastehen, da hat es keinen Platz für Leute, die auf die nicht vorhandenen Menschenrechte in ihrem Land hinweisen möchten. So geschehen auch mit Jabbar Savalan. Der 20-jährige hatte auf Facebook gegen Proteste an der Regierung aufgerufen. Er wurde dafür verhaftet und im Gefängnis so lange geschlagen, bis er ein Geständnis auf Drogenbesitz unterschrieb. Dafür wurde er für über zwei Jahre Gefängnis verurteilt.

Der 10. Dezember ist nicht nur der Tag der Schweizer Endausscheidung für den Eurovision, er ist auch der Tag der Menschenrechte. Amnesty International hat die Gelegenheit genutzt und den ESC Finalistinnen und Finalisten auf die schreckliche Menschenrechtssituation in Aserbaidschan aufmerksam gemacht und sie gebeten ein Zeichen für Menschenrechte zu setzen, indem sie einen „Free Me“ Pin am 10. Dezember tragen.

Eine hervorragende Gelegenheit, sollte man meinen, um für Menschenrechte weltweit einzustehen. Nur leider sieht dies das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) anders. Das SRF hat seine Finalistinnen und Finalisten daran erinnert, dass bei dieser kulturellen Veranstaltung keine politische Werbung oder Songtexte erlaubt sind und sich die Finalisten zuerst ein eigenes Bild machen sollen, bevor sie über Aserbaidschan urteilen. Bitte was?

Mal ganz abgesehen davon, dass einer der Finalisten einen Song mit dem Titel „Peace & Freedom“ hat, gibt es einen Unterschied zwischen politischer Werbung und Menschenrechten. Menschenrechte, und das ist ja der Witz der Sache, liebes SRF, sind universell und unteilbar und gelten für JEDEN MENSCHEN.  Das hat nichts, aber auch gar nichts mit politischer Werbung zu tun. Die Sache ist aber die, dass Aserbaidschan die Menschenrechte mit Füssen tritt. Jugendliche werden in Gefängnissen die Rippen gebrochen, damit sie angebliche Taten gestehen. Homosexuelle, immerhin eine wichtige Zielgruppe des ECS, haben in Aserbaidschan ebenfalls mit Gewalt seitens der Polizei zu rechnen. Im Vorfeld des Eurovision, dieses ach-so-schönen kulturellen Anlasses wird erst recht keine Kritik geduldet, wie wir am Beispiel von Jabbar Salvan sehen können.

Aserbaidschan soll diesen kulturellen Anlass nicht nutzen können, um erst recht noch mehr Menschen zu foltern und in Gefängnisse zu werfen. Darauf soll aufmerksam gemacht werden und nicht auf politische Statements. Niemand verlangt von Guillermo Sorya, dass er mit seinem Song „Baby Baby Baby“ ein Statement zu Abtreibungen abgibt und niemand verlangt von Sosofluo, dass sie sich mit ihrem Song „quand je ferme les yeux“ zur Sterbehilfe äussert. Es geht um universelle, unteilbare, für alle geltende Menschenrechte!

Trotzdem kann ich mir die Frage nicht ganz verkneifen, wieso das SRF auf seiner offiziellen ESC Website den Song „Peace & Freedom“ des Finalisten IVO als Einstehen für „Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit – eine Message, die sich nicht an geografischen Grenzen orientiert und die Menschen aufrütteln soll“ anpreist (Zitat SRF). Ein Kandidat darf über Peace & Freedom singen und die Menschen aufrütteln, aber die anderen Kandidaten und Kandidatinnen dürfen keinen „Free Me“ Pin tragen? Ist das nicht ein wenig inkonsequent?

Wie dem auch sei, Amnesty hat durchaus Recht, wenn es SRF Zynismus vorwirft. Es ist nämlich zynisch, wenn das SRF den ESC Kandidierenden empfiehlt, sich nach der Teilnahme in Aserbaidschan ein Bild zu machen. Wovon sollen sich die Finalistinnen und Finalisten denn ein Bild machen, wenn alles Kritiker weggesperrt werden und die Menschen in Angst leben müssen, gefoltert zu werden, wenn sie den Mund aufmachen? Vom netten Flughafenempfang? Vom Hotel, in das sie einquartiert werden? Von der bunten Bühne? Gerade als Schweizer Fernsehen, das gute Journalistinnen und Journalisten in der ganzen Welt hat, dürfte man mehr Sensibilität erwarten. Wären nämlich die Journalistinnen und Journalisten, die beim SRF arbeiten in Aserbaidschan geboren und würden dort ebenso ihrem Beruf nachgehen wollen, wie in der Schweiz, würden sie misshandelt und in Gefängnisse geworfen werden. Und das weiss das SRF auch ganz genau! Falls es aber mehr Informationen diesbezüglich benötigt, findet es hier einen ausführlichen Bericht zur Menschenrechtslage in Aserbaidschan.

Vor kurzem hat Viktor Giaccobbo, der eine Satire-Sendung auf SF hat, mit Amnesty International erfolgreich eine Kampagne gegen die Inhaftierung eines Künstlers in China gemacht. Die Kampagne war ein grosser Erfolg und nicht zuletzt deswegen wurde der Künstler wieder freigelassen.

Es wäre zu wünschen, dass das SRF auch in diesem Fall auf die Seite der Menschenrechte steht. Täglich hat das SRF über die Revolutionen in der arabischen Welt berichtet, als Leute für ihre Freiheit auf die Strasse gingen, dafür starben und Erfolg hatten. Als Land mit einer humanitären Tradition ist es unsere Pflicht, uns weltweit für Menschenrechte einzusetzen, wenn wir dies können. Das SRF nennt den Eurovision eine kulturelle Veranstaltung. Die humanitäre Tradition der Schweiz ist Teil unserer Kultur. Insofern würden sich die Kandidierenden nur an die Regeln halten, wenn sie am 10. Dezember dem Aufruf von Amnesty folgen würden.

Ich rufe alle Kandidatinnen und Kandidaten dazu auf, dies zu tun. Ich rufe das SRF auf, sich auf die humanitäre Tradition der Schweiz zu besinnen und Menschenrechte nicht über Kommerz zu stellen. Das wäre keine politische Werbung, sondern ein Bekenntnis zu den unteilbaren Menschenrechte, die für alle gelten!!

Die Petition für die Freilasssung von Jabbar Savalan (und weitere Petitionen) kann hier unterschrieben werden.