Es ist ein unwürdiges Trauerspiel. Ein höchst unwürdiges Trauerspiel. Weltweit haben die Medien über die Menschen in Nordafrika geschrieben, die sich gegen ihre grausamen Diktatoren erhoben haben. Auch in der Schweiz. Dass solche Ereignisse Flüchtlingsströme auslösen, liegt in der Natur der Sache. Umso tragischer ist es, was wir in der Schweiz zur Zeit an Widerstand und Ablehnung gegen Asylbewerber erleben müssen.

Bettwil, eine kleine Gemeinde im Kanton Aargau, von der wohl noch kaum jemand in der Schweiz etwas gehört hat, ist zu einem Symbol geworden. Für einige ist sie das Symbol des Widerstandes. Passender erscheint mir aber das Symbol grenzenloser Ignoranz. Aufgrund der zugenommenen Asylgesuche in der Schweiz braucht der Bund dringend Plätze, um die Asylbewerber unterzubringen. Diese Unterkünfte sind aber rar, was nicht zu Letzt auf die Sparmassnahmen und falschen Prognosen des ehemaligen Justizministers Christoph Blocher zurückzuführen ist. Blocher ist nämlich davon ausgegangen, dass die Schweiz jährlich maximal 10’000 Flüchtlingsgesuche zu behandeln hat. Entsprechend wurde bei den Kantonen Kapazitäten gestrichen und Geld für Reservekapazitäten gestrichen.  Alleine dieses Jahr haben wir über 15’000 Asylgesuche, genauso wie letztes Jahr. Dabei wird die Schweiz verglichen mit der Vergangenheit gar nicht von Flüchtlingen überschwemmt. Während es in diesem Jahr bisher über 15’000 Asylsuchende waren, hatten wir während des Krieges im Balkan im Jahre 1995 über 47’000 Asylgesuche. 2002 waren es über 26’000 Asylgesuche. Wenn wir also in die letzten Jahre schauen, werden wir keineswegs von Flüchtlingen überrannt, das einzige Problem ist, dass man entsprechende Plätze weggekürzt hat. Ups…

Um die Asylsuchenden -zumindest vorübergehend- trotzdem unterbringen zu können, muss der Bund diese verteilen. In der ganzen Schweiz sucht er fieberhaft nach Unterkünften. Unter anderem fand er die Militäranlage in Bettwil, in welcher er vorübergehend um die 140 Asylbewerber unterbringen wollte. Doch die Bettwiler laufen Sturm. Kantons- und Bundesvertreter wurden ausgebuht und medienwirksam protestieren die Bettwiler gegen die Unterbringung der Asylbewerber. Der Bund hat eingelenkt und spricht nun von 80-100 Aslysuchenden für eine maximale Dauer von 6 Monaten. Auch das kommt den Bettwilern nicht in die Tüte.

Die Bettwiler sehen sich als kleine Wilhelm Tells, die sich gegen die „Obrigkeit aus Bern“ wehren. Dabei geben die Bettwiler zu Protokoll sie seien nicht rassistisch und es ginge ihnen nicht um die Aslybewerber, sondern dass der Bund einfach entschieden hat, ohne zu fragen. Im nächsten Satz sagen dieselben Leute aber, dass die Aslybewerber ihre Gemeinde unsicher und ihre Frauen blöd anmachen würden. „Die Kinder können dann nicht mehr alleine zur Schule gehen.“ Aha… das Problem ist also nur, dass Bern die lieben Bettwiler vorher nicht gefragt hat, ob sie bereit wären, die Asylbewerber aufzunehmen. Wenn Bern also nett gefragt hätte, wären die Bettwiler sofort bereit gewesen, diese furchtbar kriminellen Asylbewerber aufzunehmen? Aber eben, rassistisch seien sie nicht! Newsflash an euch, liebe Bettwiler, Tunesier kollektiv zu verurteilen, sie als Kriminelle oder als Gefahr zu bezeichnen, ist Rassismus! Da ändert sich auch nichts dran, wenn ihr „mit Deutschen verheiratet“ seid oder „nichts gegen die Albanerfamilie im Dorf“ habt!

Doch die Bettwiler wollen ja Hand zu Lösungen bieten und haben einen äusserst grosszügigen Vorschlag: Sie wären bereit, ein paar Asylbewerber aufzunehmen, diese müssten aber interniert werden. Es sei schliesslich kein Menschenrecht, sich frei bewegen zu können,  meinte ein Bettwiler gegenüber dem Tages-Anzeiger.

In Birmensdorf, einer Gemeinde mit 5’900 Einwohnern, konnten 19 Flüchtlinge untergebracht werden. Bedingung: Eine „Asylantengasse“ musste her. Ein kleiner Schleichweg, welcher sicher stellen sollte, dass die Asylbewerber in ihre Unterkünfte gelangen, ohne das Quartier zu durchqueren.

Sind wir in der Schweiz bereits so weit gekommen? Die Asylbewerber müssen durch separate Gassen gehen und am besten gleich interniert werden. Erinnerungen an dunkle Zeiten werden wach. Zeiten, in denen es Judengassen gab und Juden interniert wurden.

Man kann es nicht anders sagen: Es ist zum Kotzen! Diese Menschen werden mit einer Welle des Hasses empfangen, die einen sprachlos zurück lässt. Die Humanität der Schweiz habe schliesslich ihre Grenzen, sagen die besorgten Bürger. Stimmt, diese Grenze scheint ziemlich schnell erreicht zu sein. Im Gegensatz zur Inhumanität dieser Bürger, diese scheint keine Grenzen zu kennen. Auch wenn diese ehrenwerten Eidgenossen sich als Winkelriede sehen, sie sind es nicht. Im Gegenteil, sie sind keine Helden, sie sind die Hetzer.

Offenheit gegenüber Erfahrungen anderer Gemeinden scheinen ihnen ebenso fremd wie Menschlichkeit. Dabei braucht man weder ein Gutmensch noch ein Professor zu sein, um zu erkennen, dass die meisten Gemeinden keine Probleme mit Asylbewerbern hatten. Natürlich gibt es auch unter Asylsuchenden Kriminelle. Das ist aber keine Mehrheit! So regt sich in einem Walliser Dorf mit 189 Einwohnern keinen Widerstand gegen die Unterbringung von 60 Asylbwerbern, weil man in der Vergangenheit keine schlechten Erfahrungen gemacht hat. Dasselbe gilt für die Gemeinde Utendorf in Bern, in welcher 100 Asylbewerber untergebracht werden sollen. Dies deckt sich übrigens auch mit Erfahrungen die ich machen durfte, als ich eine Zeit lang in einer Unterkunft für Asylbewerber gearbeitet habe, die Mehrheit der Asylsuchenden war anständig und keiner dieser Menschen hat jemals einem Kind aus der nahe gelegenen Schule auch  nur ein Haar gekrümmt. Aber eben, die besorgten Winkelrieds wissen es natürlich besser. Zu unbequem wäre es, das festgefahrene Weltbild zu hinterfragen, zu anstrengend, den Horizont ein klein wenig zu erweitern. Was nicht sein darf, kann schliesslich nicht sein!

In diesem ganzen Theater geht aber eines vergessen: Es geht um Menschen. Es sind Menschen auf der Flucht. Selbstverständlich gibt es darunter solche, die kein Anrecht auf Asyl bei uns haben und in ihre Heimat zurück müssen. Es sind aber auch viele Menschen drunter, die sich wirklich gegen Obrigkeiten gewehrt haben. Menschen, die Gefahr laufen, zu Tode gefoltert zu werden, wenn sie sich gegen „Obrigkeiten“ wehren. Es sind Menschen darunter die schreckliches durch machen mussten, die sich wohl gewünscht hätten, ihre grössten Sorgen wären die jener Bettwilerin, die Tränen in den Augen hat, weil sie die Kinder nicht mehr alleine spielen lassen kann, wenn Asylbewerber in ihr Dorf kommen. Niemand sagt, dass man alle Menschen, die hier um Asyl suchen, aufnehmen muss. Aber zumindest ein kleines Bisschen verdammten Anstand diesen Menschen gegenüber sollte von uns ehrenwerten Eidgenossen gefälligst nicht zu viel verlangt sein!

Denn in einer Gesellschaft, in der ganze Dörfer und Gemeinden Menschen vorverurteilen und gegen diese Hetzen, stimmt etwas nicht. Eine solche Gesellschaft ist unendlich weit von unserer eigenen Bundesverfassung entfernt, die besagt, dass sich die Stärke das Volkes am Wohle der Schwachen misst. Das hat mit der historischen humanitären Schweiz nichts mehr zu tun, genau so wenig wie mit einer zivilisierten Gesellschaft.

„Was, wenn an unserer Bushaltestelle plötzlich 20 Tunesier stehen?“ fragt ein Bettwiler. Wenn ich die Ereignisse der letzten Wochen ansehe, würden mir wohl 20 Bettwiler an einer Bushaltestelle grössere Sorgen bereiten!