Nur zu gut kann ich mich noch daran erinnern, wie ich das T&M das erste Mal betrat. Noch viel besser kann ich mich aber daran erinnern, wie ich als ungeouteter 19 jähriger mit zitternden Beinen ein paar Meter vom Clubeingang entfernt stand und wartete, bis niemand in der Nähe war, der hätte sehen können, wie ich diesen Club betrat. Meine Begleitung nervte sich bereits, als ich mich endlich dazu durchrang, durch die Eingangstüre des Clubs zu huschen.

Hier bin ich zu Hause

Mit weichen Knien lief ich die Treppen in den Club hoch, gab meine Jacke am Eingang ab und betrat das bereits relativ volle T&M. Die Musik dröhnte, aber mein Herzschlag pochte lauter in meinen Ohren. So viele Männer hatte ich in einem Club noch nie gesehen. Und dann erst noch alle schwul. In einer Selbstverständlichkeit tanzten da Männer zusammen, eng umschlungen, ausgelassen, küssend, fröhlich. Meine Angst verflog. Ich war zu Hause. Endlich Leute wie ich. Leute, die so sind wie ich innerlich seit ich denken kann war und es nie sein wollte, weil ich es als abnormal empfunden hatte. Schliesslich war mir das auch lange so eingetrichtert worden. Und da ich niemanden kannte, der auch so war wie ich, fast ausschliesslich negatives darüber gehört hatte und schwul ein gängiges Schimpfwort unter Jugendlichen gewesen war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es viele gibt, sie so abnormal wie ich sind. Und nun stand ich in diesem Club. Die Lichter flackerten, die Rauchmaschine tauchte die Tanzfläche in Nebel, die Leute sangen, tanzten, sprangen rum, kletterten auf ein paar Stufen, die mitten im Club als „Bühne“ diente, um ihre Tanzbewegungen vorzuführen. Gierig sogen meine Augen alles auf, während ich meine erste Runde durch den Club drehte, an den Sitzmögilchkeiten vorbei, durch die Toiletten, wo Männer auch in einer Selbstverständlichkeit die Frauentoiletten benutzten, was die wenigen Frauen nicht mal zu stören schien. Es war einfach alles wunderbar. Ein besseres Osterwochenende hätte ich mir nicht vorstellen können.

Apropos Ostern. Der Club war nach dem Motto „Kirche“ eingerichtet. Die Sitzmöglichkeiten waren wie Kirchenstühle dekoriert, über der Bar hingen nackte „Kens“ mit Engelsflügeln, die Wände waren mit christlichen Figuren wie der Jungfrau Maria bemalen. Ich verbrachte also diesen Abend an einem Osterwochenende mit küssenden Männern vor den Augen der Jungfrau Maria. IN YOUR FACE, schoss es mir durch den Kopf, während ich dabei an den ultrareligiösen Teil meiner Familie dachte.

Als ich danach den zweiten Stock betrat (den dazugehörenden Club „Aaaah“) mit der harten Elektromusik und der kleineren Tanzfläche, wurde mir etwas mulmig. Ein Gang führte nämlich von der Tanzfläche weg zu den brühmt berüchtigten Dark-Rooms. Also jene Räume, die dunkler waren und man sich verziehen konnte, um Sex zu haben. Ängstlich lief ich hinter meiner Begleitung durch diese abgedunkelten Gänge und spürte eine merkwürdige Mischung aus Faszination und Angst in mir hochsteigen (rückblickend lache ich heute noch über diese Angst). Gab es das wirklich? Auf den Fernsehern, die überall rum hingen, liefen nicht jugendfreie Filme und es hockten Männer rum, deren Blicke meine Nervosität ins Unermessliche steigen liess. Schnell verliessen wir die obere Etage wieder und verbrachten die Nacht im unteren Teil, also im T&M.

Ein Ort für alle

Ab diesem Zeitpunkt verbrachte ich im Verlaufe der Jahren viele witzige, ausgelassene, spannende, feuchtfröhliche Nächte im T&M.

Die Dekoration änderte sich mit der Zeit (vom Thema Kirche zum Thema Sport zum Thema Zukunft zum Thema Aliens zum Thema Disco), mit der Zeit kannte man die meisten Leute, obwohl auch immer wieder neue Leute dazu stiessen. Mal verbrachten wir jedes Wochenende in diesem Club, mal mieden wir ihn wochenlang. Aber wir kehrten immer wieder zurück. Die ausgelassensten Partys, interessante Bekanntschaften oder auch Ablenkungen, wenn man niedergeschlagen war, das T&M war für alles die beste Adresse.

Nirgends trafen alle Angehörigen der schwullesbischtransgender Community so zusammen wie im T&M. Ob die jungen Schwulen, die Dragqueens, die shirtlosen Muskelmänner, die Hip Hopper, die Skater, die (selbsternannten) Models, die Hipster, etc. etc., alle verkehrten im T&M. Jede Farbe des berühmten Regenbogens fand sich im T&M wieder. Auch jene, die es niemals zugeben würden.

Vielleicht lag es gerade am Punkt, dass das T&M jedes Publikum anzog und lange bestand, aber das Lästern über diesen Club verkam teilweise geradezu zum schwullesbischen Volkssport. Niemals würde man ins T&M gehen, der Club sei doch total trashig, die Leute nervig, die Musik schlecht, an allem hatte man etwas auszusetzen, nur cool finden, das konnte man das T&M (aus mir bis heute unerfindlichen Gründen) nicht. Und wenn man dann genau jene Leute, die sich am lautesten das Maul über den Club zerrissen, tanzend auf der Tanzfläche des T&Ms wieder traf, kriegte man mässig originelle Ausreden zu hören („ich wurde von meinen Freunden hergeschleppt, bin sonst nie da“ die häufigste aller schlechten Erklärungen), für die man eigentlich gar nicht gefragt hätte.

Die Dark-Room Kontroverse

Zwischendurch flackerten künstliche, völlig überflüssige Skandale auf, wie die Diskussion darüber, ob man Dark-Rooms in einer Disco verbieten muss. Politiker und Politikerinnen, die noch nie einen Fuss ins T&M gesetzt hatten und unter Ausgang wahrscheinlich einen (durch Ohropax geschützten) Besuch in der Oper verstehen, liessen sich in Medien zitieren, dass „Sex nicht in eine Gaststube gehöre“, fromme Mitbürgerinnen und Mitbürger überboten sich mit Horrorstorys, was in diesen Dark-Rooms alles passiere, während man den Moralfinger hob und davon sprach, dass dies sofort gestoppt werden müsse. Glücklicherweise haben sich die verkorksten Moralvorstellungen nicht durchgesetzt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, weswegen diese Diskussion überhaupt aufgeflackert war, aber ich weiss noch zu genau, wie tierisch sie mich nervten. Man muss kein Dark-Room Gänger sein, um strikte gegen ein Dark-Room-Verbot zu sein. Wenn volljährige Männer in Dark-Rooms Sex haben wollen bis die dafür konzipierten Räume wackeln, hat das niemanden, aber absolut gar niemanden zu interessieren. Niemand wird gezwungen, dabei zuzuschauen geschweige denn sich in diese Dark-Rooms zu begeben. Insofern gibt es kein einziges Argument, das ein Verbot von Dark-Rooms rechtfertigen würde – im Gegenteil. An den Wänden dieser Dark-Room-Gänge prangern in leuchtender Schrift Warnungen vor Geschlechtskrankheiten und Hinweise zu Verhütungsmitteln, die da auch gratis zur Verfügung standen, womit Krankheitsrisiken an diesen Orten kleiner sind, wie bei jenen heterosexuellen Menschen, die sich nach feuchtfröhlichen Discobesuchen ohne Verhütung auf Toiletten, Rücksitze von Autos oder sonstige Orte ausserhalb der eigenen vier Wände verziehen (was heutzutage, oh Schock, einer Realität in unserer Gesellschaft entspricht). Ob man Dark-Rooms nun besucht oder nicht, sie waren Teil des T&Ms und ich bin stolz darauf, dass die Besitzer sich von keinen Moralaposteln aus der Politik einschüchtern lassen haben und diese umstrittene Räume bis heute noch zum festen Inventar des T&Ms gehören.

Unverständlicher Hass

Sämtliche heterosexuellen Freundinnen und Freunde von mir, die noch nie einen Gay-Club von innen gesehen hatten und ein- (oder mehrmals) mit ins T&M kamen, waren vom Club sehr positiv überrascht, von der Stimmung begeistert und vom Angebot einer Dark-Room-Zone fasziniert. Keine Pöbelein, keine Schlägereien, keine aggressive Stimmung, wie dies in heterosexuellen Clubs teilweise der Fall ist. Der einzige Streit, den man im T&M zwischen den Leuten mitbekam, waren Fragen wie, ob jetzt Kylie oder Madonna, Britney oder Christina besser sind und die einzigen Konkurrenzkämpfe, die zu beobachten waren, bestanden darin, wer die besseren Tanzmoves auf der Treppe/Bühne drauf hatte.

Oft ertappte ich mich dabei, wie mein Blick durch die tanzenden, singenden, lachenden Gesichter des T&Ms Publikums schweifte und ich mich dabei fragte, wie es überhaupt möglich sein konnte, dass Menschen wie wir aufgrund unserer sexuellen Orientierung diskriminiert oder abgewertet werden. Worin um alles in der Welt besteht die Gefahr, die all die Homophoben da draussen in uns sehen? Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass küssende oder händchen-haltende Männer ausserhalb von Orten, wie es das T&M einer ist, Angst haben müssen, aufgrund ihrer Gefühle angepöbelt zu werden? Selbstverständlich gibt es auch unter Schwulen Menschen, die man unsympathisch findet, mit denen man schlechte Erlebnisse gemacht hat, die man nicht ausstehen kann. Aber jedes Mal, wenn mein Blick in diesen Momenten über das ausgelassene Publikum in einem T&M schweifte, schwor ich mir aufs Neue, den Kampf für eine vollständige Akzeptanz von Homo-, Bi- und Transsexuellen zu meinem politischen Hauptziel zu machen, für das ich unermüdlich kämpfen werde. Jedes mal schöpfte ich erneut Kraft, um auch dann unbeirrt und entschlossen zu bleiben, wenn man augenrollend wieder fragt „ihr habt ja vieles erreicht, was wollt ihr denn jetzt schon wieder?“ Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dies politisch oder taktisch klug ist, aufgrund der Gefahr nur auf „Schwulenpolitik reduziert“ zu werden, wovor man mich immer wieder warnt.

Ein Verlust für die Schweiz

Nun schliesst das T&M. Für immer. Damit geht nicht nur die historische Ära eines Gay-Clubs zu Ende, sondern auch ein grosses Stück Heimats- oder gar Zufluchtsort für Schwule jeden Alters aus der ganzen Schweiz. Junge Schwule, die zum ersten Mal erleben, dass sie nicht alleine auf dieser Welt sind, denen angesichts all der tanzenden, fröhlichen Menschen um sie rum bewusst wird, dass es okay ist, schwul zu sein und dass es nichts, aber auch gar nichts dran gibt, für das sie sich zu schämen brauchen. Als ich das T&M das erste Mal betrat, zitterten meine Beine und ich hatte Panik davor, dass mich jemand den Club betreten oder verlassen sehen würde. Heute bin ich stolz darauf, in der Öffentlichkeit für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transmenschen kämpfen zu können. Und auch das T&M hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen. Darum ist es auch kreuzfalsch zu meinen, dass es im Jahre 2013 keinen „Schwulenclub“ mehr in Zürich braucht. Im Gegenteil, Schwulenclubs wird es immer geben müssen. Denn auch wenn die Akzeptanz Homo-, Bi- und Transsexueller zunehmend besser wird, wird es immer Orte geben, an die wir uns „zurückziehen“ können, wo wir nicht befürchten müssen, aufgrund unserer angeborenen sexuellen Orientierung angepöbelt zu werden, wo wir wissen, wir sind unter Gleichgesinnten und schlicht, wo wir einfach sein können, wer wir sind! Es ist daher richtig, wichtig und darum sehr erfreulich, dass ab März mit dem „Heaven of T&M“ ein neuer Club eröffnet wird, der für all diese Dinge steht. Und wenn noch ein zweiter solcher Club entstehen sollte (was gemäss Gerüchten in Planung ist), ist dies ebenfalls zu begrüssen.

Das T&M wird in die (Schwulen)Geschichte Zürichs eingehen und für immer einen wichtigen und positiven Platz in der Erinnerung unzähliger Schwulen behalten, für die das T&M viel mehr, als einfach eine Disco war.