Nachdem der Bundesrat die Steinzeit-Initiative der CVP zur Annahme empfohlen hat, fühlt sich die Partei, die das C ihres Parteinahmen wieder entdeckt hat, im Aufwind. Offensiver denn je werben sie für die Initiative und behaupten dabei ungeniert Unsinn, um dem Volk Sand in die Augen zu streuen. Höchste Zeit also, um ihre vier Hauptargumente unter die Lupe zu nehmen.

Behauptung 1: Definition bereits heute in der Verfassung

Die CVP schreibt auf der Webseite der Initiative:

„Schwulen- und Lesbenorganisationen stören sich daran, dass die Definition der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau erstmals in der Verfassung verankert wird. Doch: die Definition ist bereits heute darin verankert.“

Dies hat die Aargauer CVP-Grossrätin Marianne Binder auch anlässlich einer Radiodiskussion auf Radio SRF 1 gesagt. Auf die Frage angesprochen, wo diese Definition denn bereits in der Verfassung stünde, antwortete sie mit „in Artikel 14“ (Minute 13:18 der Diskussion).

Nun, schauen wir uns also Artikel 14 der Bundesverfassung an. Dort steht

„Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet.“

Artikel 14 enthält also keine Definition der Ehe. Genauso wenig wie irgend ein anderer Artikel in der Verfassung. Die Behauptung, dass eine Definition, welche die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau festlegt, bereits heute in der Verfassung verankert ist, ist also falsch.

Behauptung 2: Ehedefinition in der Verfassung ändert nichts  

Weil die CVP weiss, dass die Ehedefinition nirgends in der Verfassung verankert wurde, versucht sie auf die Botschaft des Bundesrats und die heutige Gesetzeslage zu verweisen. Die CVP schreibt weiter auf ihrer Webseite:

„Bei der Abstimmung über die neue Bundesverfassung wurde die Ehe […] von Bundesrat, Parlament und Volk ausdrücklich im traditionellen Sinne interpretiert und festgelegt. Nachzulesen ist dies in der Botschaft des Bundesrates zur neuen Bundesverfassung vom 20. November 1996 auf den Seiten 154 und 155.“

Stimmt, die Ehe wurde damals, also vor 17 (!) Jahren als Verbindung zwischen Mann und Frau verstanden. Dennoch haben es Bundesrat und Parlament unterlassen, diese Definition in die Verfassung zu schreiben. Dies bedeutet, dass das Parlament heute entscheiden könnte, die Ehe gegenüber homosexuellen Paaren zu öffnen. Dafür müsste man lediglich Anpassungen auf gesetzlicher Stufe vornehmen. Die Verfassung würde dies dem Parlament nicht verbieten. Würde die Ehedefinition in der Verfassung verankert, könnte das Parlament die Ehe für homosexuelle Paare nicht mehr öffnen.

2.1 Trend zur Eheöffnung

Dass der Trend in diese Richtung geht, zeigen immer mehr Länder. Seit 1996 öffneten bereits 17 Länder die Ehe für homosexuelle Paare. Das erste Land war im Jahr 2001 die Niederlande. Und dieses Jahr hat England beschlossen, dass das zurzeit existierende Partnerschaftsgesetz für homosexuelle Paare nicht länger gut genug sei, weswegen das Land die Ehe für homosexuelle Paare ab 2014 öffnen wird. Dazu kommen zahlreiche Teilstaaten, z.B. in den USA oder in Mexiko.

Im US-Bundesstaat Kalifornien haben Gerichte die mittels Volksabstimmung in der Verfassung verankerte Definition der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in den letzten Jahren durch alle Instanzen für ungültig erklärt.

Das Beispiel USA ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich das Eheverständnis auch in einem tendenziell konservativen Land wandeln kann. Nachdem noch vor ein paar Jahren kaum eine Politikerin oder ein Politiker es gewagt hätte, die Eheöffnung für Homosexuelle zu befürworten, steht mittlerweile eine Mehrheit des Volkes sowie der amtierende Präsident hinter der Eheöffnung. Sogar die ultrakonservativen Republikaner, die jahrelang immer wieder versuchten, die amerikanische Bundesverfassung mit genau jener Ehedefinition zu ergänzen, die jetzt die CVP in der Schweiz verankern will, haben ihren Kampf in der Zwischenzeit praktisch aufgegeben.

2.2 Stiller Verfassungswandel möglich

Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis dieser Wandel des Ehebegriffs auch in der Schweiz Realität wird. Juristen und Professoren sprechen hier von einem „stillen Verfassungswandel“, also dass die Ehe auch gegenüber homosexuellen Paaren geöffnet werden kann, ohne dass eine Änderung der Verfassung nötig wäre. Die Definition der CVP würde diesen stillen Verfassungswandel jedoch verunmöglichen.

Dieser Meinung sind sowohl namhafte Professoren als auch das Eidgenössische Justiz und Polizeidepartement.

2.3 Was sagen Professoren?

Die CVP beruft sich zur Stütze ihrer Argumentation gerne auf Prof. Bernhard Ehrenzeller, Professor für Öffentliches Recht der Universität St. Gallen und Direktor am Institut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. Aber was sagt dieser Kronzeuge der CVP zu ihrer Argumentation? Gegenüber dem Tagesanzeiger liess er sich in einem Artikel zur Thematik folgendermassen zitieren:

Man kann nie ausschliessen, dass der Verfassungsbegriff der Ehe in Zukunft aufgrund einer dynamischen Auslegung offener verstanden wird, sich also auch auf andere Lebensgemeinschaften beziehen könnte. Mit der Umschreibung des Ehebegriffs in der Bundesverfassung werden einer solchen Weiterentwicklung des Rechts klare Grenzen gesetzt.

Uuups, liebe CVP.

2.4 Was sagt das EJPD?

Und auch das Bundesamt für Justiz, also die höchste juristische Instanz des Bundesrats widerspricht der CVP Argumentation. So enthüllte das Mannschaft-Magazin, zusammen mit Anton Kohler, dass das Bundesamt für Justiz wegen dieser Definition die ganze Initiative hätte ablehnen wollen. Das Bundesamt für Justiz schrieb denn auch

„[…]dass in Zukunft ein sog. stiller Verfassungswandel stattfinden könnte, der es bei gleichbleibendem Wortlaut erlauben würde, auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften zur Ehe zuzulassen […] Würde die Initiative angenommen, wäre ein solcher stiller Verfassungswandel nicht mehr möglich. Ohne einer allfälligen künftigen Entwicklung vorgreifen zu wollen erscheint es im vorliegenden Kontext verfehlt, diese wichtige gesellschaftspolitische Frage sozusagen en passant mitzuentscheiden und explizit in der Verfassung zu verankern.“

Nochmals uuups, liebe CVP.

2.5 Bundesrat krebste zurück

Auch wenn die Stellungnahme des EJPD den Bundesrat nicht zum Umdenken bewegte, so schien sie bei ihm trotzdem auf Gehör zu stossen. Denn ursprünglich wollte der Bundesrat in seiner Botschaft auf die Diskussion rund um die Ehedefinition eingehen. Im Botschaftsentwurf wollte er unter Punkt 3.2.3 darauf hinweisen, dass er an der traditionellen Ehedefinition festhalten möchte. Das EJPD schrieb, dass diese „Äusserungen ersatzlos zu streichen“ seien. Es schrieb weiter:

„Der Bundesrat legt sich hier fest, ohne dass aufgrund des Kontexts dazu tatsächlich eine Notwendigkeit besteht. Es handelt sich hier um ideologische Ausführungen, die nichts mit der im vorliegenden relevanten Fragen zu tun haben. Zwar ist es richtig, dass sich der Bundesrat in der Vergangenheit entsprechend geäussert hat. Betrachtet man aber die gesellschaftspolitischen Entwicklungen im In- und Ausland, ist die Bedeutung solcher Äusserungen aus der Vergangenheit zu relativieren.“ Dies schien den Bundesrat zu überzeugen. In der definitiven Botschaft ist zur Ehedefintion nichts mehr zu lesen. Dies beweist, dass auch dem Gesamtbundesrat bewusst geworden sein muss, dass ein Wandel der Ehedefinition durchaus möglich wäre.

Und nochmals: Uuups, liebe CVP.

Behauptung 3: Wenn Ehe geöffnet werden soll, muss Verfassung geändert werden

Die CVP behauptet aufgrund ihrer (oben widerlegten) Argumentation, dass eine Verfassungsänderung nötig ist, wenn die Ehe homosexuellen Paaren gegenüber geöffnet werden soll. Nun, wie genau soll das denn gehen? Sollen wir eine Initiative zur Änderung der Botschaft von 1996 lancieren? Schliesslich ist dies das einzige Dokument, auf das sich die CVP ihrer Argumentation berufen kann – in der Verfassung steht keine Definition. Da die Ehe in der Verfassung nirgends definiert wird, ist es überhaupt nicht nötig, dass wir eine Initiative einreichen, um die Ehe gegenüber homosexuellen Paaren zu öffnen. Wie oben dargelegt, könnte dies leidglich auf Gesetzesstufe gemacht werden. Diese Behauptung ist also nichts weiter als eine Nebelpetarde, um das Volk zu verwirren.

Behauptung 4: Definition ist nötig zur Abschaffung der Heiratsstrafe

Die CVP schreibt auf ihrer Webseite

„Man muss die Ehe umschreiben, wenn man die Diskriminierung der Ehe abschaffen will.“

Aha. Stimmt, ohne Definition wüsste man nicht, was unter Ehe verstanden wird. Der Bundesrat, das Parlament und das Volk wären in Chaos versunken beim Versuch herauszufinden, was die geheimnisvollen Worte „Ehe“, „Eheleute“ oder „Ehepaare“ zu bedeuten hat. Die CVP hat die Schweiz vor einem riesigen Chaos bewahrt, wie nett von ihnen.

Dass diese Behauptung absurd ist, wird nur schon klar, wenn man die Behauptungen 1, 2 und 3 der CVP bedenkt. Da stellt sich die Partei auf den Standpunkt, dass die Definition schon in der Verfassung verankert sei bzw. in der Botschaft des Bundesrates von 1996 bzw. dass die Öffnung der Ehe gegenüber homosexuellen Paaren eine Verfassungsänderung bedinge. Aber eben, um finanzpolitische Nachteile von Eheleuten abzuschaffen, ist eine Ehedefinition nötig. Diese Behauptung steht in solch komplettem Widerspruch zu den restlichen Behauptungen, dass man sich geradezu fremdschämen muss, wenn man sie liest.

Und falls dies noch immer nicht überzeugend genug war, lassen wir doch den Kronzeugen der CVP, Professor Ehrenzeller zu Wort kommen. Gegenüber dem Tagesanzeiger meinte er im oben zitierten Artikel auch:

„Die Definition der Ehe hätte man in der Familieninitiative auch offen lassen können. Zumindest verfassungsrechtlich war das keine Notwendigkeit. Aber das ist ein politischer Entscheid und damit das Recht der Initianten.“

Und einmal mehr: Uuups, liebe CVP.

Fazit

Die Argumentation der CVP, warum die Ehedefinition für das finanzpolitische Anliegen dieser Initiative nötig ist, entbehrt jeder Grundlage. Die Behauptungen scheinen auf den ersten (und sehr flüchtigen) Blick logisch, auf den zweiten Blick entpuppen sie sich aber als kompletter Unsinn. Eine Verankerung dieser ultrakonservativen Ehedefinition würde die Schweizer Verfassung zu einer der rückständigsten Verfassungen von ganz Europa machen und damit völlig quer in der Landschaft stehen. Was jedoch weitaus schlimmer ist; sie würde unmissverständlich klar stellen, dass unsere Verfassung homosexuelle Partnerschaften nicht als gleichwertig wie heterosexuelle Partnerschaften betrachtet und deswegen nicht zur Ehe zugelassen werden darf. Eine solche Diskriminierung ist unserer Verfassung nicht würdig.

Es ist deswegen komplett falsch, wenn die Gerhard Pfisters, Christophe Darbellays und andere Vertreter dieser Partei gegenüber den Medien treuherzig versprechen, bei dieser Initiative ginge es nicht um die Ehedefinition, sondern rein um die Abschaffung der Heiratsstrafe. Wer sich mit der Vorlage befasst hat, weiss es besser. Und jene, welche die Beteuerungen wirklich glaubten, sollten es spätestens ab jetzt nicht mehr tun.