Sehr geehrte Frau Kälin

Bitte verzeihen Sie mir die Ausdrucksweise. Aber Sie gehen mir auf den Keks. Und zwar gewaltig. Wahrscheinlich können Sie nicht einmal etwas dafür. Wahrscheinlich wussten Sie es nicht besser, als Sie einen empörten Leserbrief mit dem Titel „Hätten Sie es gewusst?“ einer Zeitung schickten. Wie hätten Sie damals wissen können, dass Ihr Leserbrief noch während Jahren im Internet mit grosser Empörung geteilt wird? Wie hätten Sie damals wissen können, dass Sie mit diesem Leserbrief zu einer Art Pin-Up-Dame für alle Asylkritiker würden? Wie hätten Sie wissen können, dass die Behauptungen und die Vergleiche in Ihrem Brief völlig falsch sind? Okay, den letzten Punkt kreide ich Ihnen schon ein wenig an.

In Ihrem Leserbrief schreiben Sie, dass „gemäss aktuellen Medienberichten“ die „armen Asylanten“ 56.- Franken Sozialhilfe pro Tag erhalten würden. Dies nehmen Sie zum Anlass, um einen wütenden Vergleich zu ziehen, bei dem Sie zum Schluss kommen, dass ein Rentnerpaar, das die AHV erhält, schlechter gestellt sei, als die „Asylanten“. Auf welche Medienberichte Sie sich da beziehen (und in welchem Zusammenhang diese Zahl hätte geschrieben werden können), interessiert keinen. Und Sie offenbar auch nicht. Denn sonst hätten Sie sich informiert, bevor Sie zur Feder griffen und diesen Unsinn verfassten. Und jetzt haben wir den Salat: Seit dieser Leserbrief (meines Wissens vor ca. 3 Jahren) veröffentlicht wurde, vergeht kaum ein Monat, ohne dass ich ihn zugeschickt bekomme oder auf irgendeiner Facebookseite mit empörten Kommentaren lesen muss. Die Geschichte ist perfekt. Die armen Grosis in diesem Land kämpfen ums Überleben, während böse „Asylanten“ das Geld nachgeworfen kriegen. Mit den Zeilen, dies sei „eine Ohrfeige für alle Rentner, die ein Leben lang gespart und gearbeitet haben“ bringen Sie die kochende Seele unserer Wutbürger auf den Punkt.

Übersehen wird dabei ein kleines, aber relevantes Detail: Was Sie schreiben ist Unsinn. Kompletter Unsinn. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Behauptung 1: Asylsuchende erhalten 56.- pro Tag

Ich würde zu gerne den Asylsuchenden sehen, der 56.- pro Tag erhält. Verwirrt haben könnten Sie vielleicht Medienberichte darüber, dass die Kantone eine Pauschale von 56.- pro Asylsuchenden erhalten. Das ist aber eine Pauschale für den Kanton und nicht für die asylsuchende Person. Der asylsuchenden Person wird (wenn überhaupt) ein drei- bis fünfmal tieferer Betrag ausbezahlt. Dieser Betrag ist von Kanton zu Kanton verschieden. Eine gute Übersicht, der zu dem Zeitpunkt Ihres Leserbriefs gültigen Ansätze finden Sie hier. Wie Sie dabei selber feststellen werden, variieren die Beträge stark, sie übersteigen aber nie 17 Franken pro Tag. Daran hat sich bis heute nichts geändert. In der Stadt Zürich erhält eine asylsuchende Person heute 494.- pro Monat (also ca. 16.50.- pro Tag). Also dreimal weniger, als was Sie in Ihrem Brief behaupten.

Behauptung 2: Asylsuchende bekommen ja alles bezahlt

Sie und Ihr Wutbürgerchor könnten jetzt natürlich versucht sein, sich trotzdem zu echauffieren. Diese 16.50.- pro Tag seien immer noch viel, wenn man bedenkt, dass die „Asylanten“ Kleider, Essen, usw. „im Unterschied zu Schweizer“ bezahlt bekommen (wie Sie in Ihrem Brief ausführen). Auch diese Behauptung ist falsch. Zwar unterscheidet sich dies auch von Kanton zu Kanton. Aber von diesen 16.50.- pro Tag muss die asylsuchende Person in Zürich Essen, Kleider, Hygieneartikel, Haushalt, Tickets für den ÖV, etc. bezahlen. So. Und nun soll mir bitte mal jemand sagen, was an 16.50.- pro Tag für all diese Dinge zu viel sein soll.

Behauptung 3: Ohrfeige für Rentner, die jahrelang gearbeitet und gespart haben

Herzzerreissend empören Sie sich darüber, dass die Sozialhilfe für „Asylanten“ eine „Ohrfeige“ für all jene Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz sei, die ihr Leben lang „gearbeitet und gespart“ hätten. Sie beklagen sich darüber, dass die ärmsten Rentnerinnen und Rentner 38.- pro Tag bekämen, obwohl sie „44 Jahre für diese AHV gearbeitet“ und bezahlt hätten.

Dieser Vergleich ist in mehrfacher Hinsicht Quatsch. Erst einmal gilt festzuhalten, dass in der Schweiz die Einzahlung in die Pensionskasse obligatorisch ist. Wer also 44 Jahre lang gearbeitet hat, sollte neben der AHV noch Pensionskassengelder erhalten, um den Lebensstandard halten zu können. Wenn Sie, gute Frau Kälin, und Ihr Mann keine Pensionskassengelder haben und nur von der AHV leben, dann stimmt etwas nicht. Natürlich kann es sein, dass Sie sich die Pensionskasse ausbezahlen lasen haben, zum Beispiel für den Kauf eines Hauses (was wiederum der Behauptung, Sie müssten im Unterschied zu Asylsuchenden Miete zahlen, widerspricht). Und wenn wir schon bei Pensionskassen sind. Es sind nicht die „SP-Politiker“ für die Sie „keine Sympathie“ übrig zu haben scheinen, welche dafür kämpfen, dass weniger Pensionskassengelder ausbezahlt werden. Das ist aber ein anderes Thema (können Sie gerne hier nachlesen). Aber selbst wenn Sie tatsächlich alleine von solch tiefen AHV-Beiträgen leben sollten, lässt der rentnerfeindliche Staat Sie nicht im Stich. Dann können Sie nämlich Ergänzungsleistungen für AHV Bezügerinnen und Bezüger beantragen. Darin enthalten sind übrigens auch Leistungen für die Krankenkasse (was die armen Rentnerinnen und Rentner gemäss Ihrem Schreiben angeblich selber zahlen müssten). Berechnen können Sie Ihre Ansprüche übrigens hier.

Exkurs AHV

Wenn wir schon dabei sind, erlauben Sie mir doch bitte einen kleinen Exkurs bezüglich Arbeit und Einzahlung in die AHV. Natürlich könnten auch Asylsuchende AHV Beiträge einzahlen, wenn sie arbeiten dürften. Das dürfen sie von Gesetzes wegen aber nicht. Und wem verdanken wir dieses Gesetz? Heisser Tipp: Nicht den Ihnen unsympathischen „SP-Politikern“. Asylsuchende Personen dürfen die ersten drei Monate in der Schweiz nicht arbeiten. Danach entscheiden die Kantone, ob sie arbeiten dürfen. In vielen Kantonen gilt aber auch dann noch der „Inländervorrang“. Dies bedeutet, dass eine Person mit dem Schweizer Pass oder aus dem EU Raum für eine Arbeitsstelle zuerst berücksichtigt werden muss, bevor eine asylsuchende Person in Frage kommt. Damit verunmöglicht man diesen Menschen praktisch, eine Arbeitsstelle zu kriegen. Und das, obwohl es wünschenswert für die Gesellschaft und für die Person wäre, wenn sie arbeiten könnte (also legal, nicht wie bei SVP-Nationalarat Hans Fehr). Davon würde natürlich auch unsere AHV profitieren. (es sei denn, es werden wie damals im Hause Hans Fehr keine AHV-Beiträge einbezahlt). Die AHV, die übrigens von den Ausländerinnen und Ausländer in diesem Land sehr profitiert wenn man bedenkt, dass diese 29% in die AHV einzahlen und 17% daraus beziehen.

Bitte entschuldigen Sie all diese Informationen. Es ist mir bewusst, dass dies etwas viele Fakten für das Wutbürgertum sind. Und natürlich eignen sich diese Fakten auch nicht, um dem Wutbürgertum Munition für seine Anti-Asyl-Parolen zu liefern. Dennoch sah ich mich gezwungen, Sie, liebe Frau Kälin (und mit Ihnen das gesamte Wutbürgertum), mit diesen Fakten zu belästigen. Hoffentlich merken Sie (und Ihre Fans) dabei, wie unsinnig und falsch Ihre Behauptungen und Vergleiche waren. Und wenn nicht, dann könnten diese Zeilen hoffentlich etwas dazu beitragen, die Flammen Ihres ungerechtfertigten Lauffeuers etwas einzudämmen.

Freundliche Grüsse

Alan David Sangines