3 05, 2018

Ein offener Brief an Daniel Regli

2019-02-18T10:04:43+01:003. Mai 2018|

Hallo Daniel

An der Gemeinderatssitzung vom 18. April 2018 hatten wir zum letzten Mal die zweifelhafte Ehre, dich im Gemeinderat zu erleben. Natürlich hast du diese Sitzung erneut dafür missbraucht, um zu deinem Lieblingsthema Homosexualität zu referieren.

Mit deinen erneuten, provokativen Aussagen gegen Homosexuelle hast du auf eine Reaktion gehofft – ich glaube, insbesondere von mir, so wie du mich während deines überlangen Votums dauernd angestarrt hast. Wissend, dass es deine letzte Gemeinderatssitzung ist, wollte ich dir keine Reaktion geben und ignorierte deine absurden Aussagen. Offensichtlich hat dir das keine Ruhe gelassen – wie das Thema Homosexualität dir seit Jahren keine Ruhe zu lassen scheint.

Denn am 28. April 2018 hast du mir eine Email geschrieben, in welcher du mit Studien deine absurde Aussage vom Dezember 2017 belegen möchtest, dass Homosexuelle inkontinent seien und sich deswegen häufiger das Leben nehmen. Du berufst dich dabei auf einen Arzt und auf einen «ehemaligen Homosexuellen» (lol).

Und hast auch gleich ein paar Links und Studien an deine E-Mail angehängt – ich glaube, um deinen absurden Aussagen irgendwie Legitimation zu verschaffen. Dabei hast du auch noch gleich die Schweizer Medienlandschaft, die Zürcher Politik und die Fachstelle Lust und Frust in deine E-Mail kopiert.

Offenes Mail an: Schweizer Medien, Zürcher Stadtrat, Gemeinderat, Fachstelle Lust & Frust

Sali Alan

Nun kann ich endlich zurückkommen auf mein vielgehasstes Votum zum Thema Inkontinenz und Suizidalität promisker Homosexueller im Rahmen der Budgetdebatte im Dezember 2017. Es wurde damals in der Ratsdebatte eine Entschuldigung gefordert. Nun möchte ich fragen, für was ich mich entschuldigen soll? Habe ich etwas Unwahres gesagt?

Ich wäre schön blöd, würde ich so brisante Fakten öffentlich verkünden, wenn ich dafür keine Quellen hätte. Bei meinem Votum stützte ich mich auf Aussagen eines Arztes und eines ehemaligen Homosexuellen. Nach der Ratsdebatte habe ich von Ärzten etliche weitere Angaben erhalten, deren Links ich Dir untenstehend zusende. Ebenfalls findest Du zwei Studien als Attachement.

Anstatt sich auf eine inhaltliche Diskussion einzulassen, haben Mitglieder des Gemeinderats und die Medien mich angeklagt und verspottet. Ich hätte „menschenverachtend“ über Schwule gesprochen und es sei „absurd“, was ich gesagt habe. Das ist natürlich ein fieses Ablenkungsmanöver, um sich nicht mit den Fakten befassen zu müssen. Dass auf den Mann, statt auf den Ball gespielt wurde, finde ich sehr bedauerlich. Wer so vorgeht, fügt sich selber und seinem „familiären“ Umfeld beträchtlichen Schaden zu.

Nach wie vor bin ich bereit, das Thema inhaltlich zu diskutieren. Wenn ich Fakten erhalte, die meine Aussagen widerlegen, bin ich gerne bereit, mich zu entschuldigen.

Zum Schluss möchte ich nochmals erinnern an die zentrale Aussage meines Votums: unsere Kinder in den Zürcher Schulen werden durch die städtische Fachstelle ‚Lust & Frust‘ mit der gendermissionarischen Ideologie verstört, verführt und geschädigt. Diese fatale Praxis muss unter allen Umständen gestoppt werden!

Freundlichen Gruss und gute Wünsche für Deine Lebensführung, die sich hoffentlich nicht der Postfaktizität verschrieben hat.

Daniel Regli

___________

http://www.gaymed.at/startseite_gaymed/vorwort/tabuthema-po/

https://www.hilferuf.de/forum/gesundheit/184148-schmerzen-und-inkontinenz-nach-analverkehr.html

https://www.focus.de/gesundheit/praxistipps/so-riskant-ist-analverkehr-analsex-das-muessen-sie-beachten_id_7561840.html

https://www.vice.com/de_ch/article/ex74mz/verursacht-analsex-langzeitschaeden

www.kup.at/search?query=Analverkehr

Bei religiösen Fanatikern ist es immer so eine Sache mit dem Antworten. Einerseits lechzt ihr nach Aufmerksamkeit, weswegen jede Reaktion nur hilft, euer Ziel zu erreichen. Andererseits dürfen eure Ergüsse eben nicht immer unwidersprochen bleiben, gerade weil es noch viel zu viele Menschen gibt, welche Mühe mit ihrer sexuellen Orientierung haben und durch euch Fanatiker zusätzlich verunsichert werden.

Daher ein paar Punkte, bevor du hoffentlich mitsamt deiner Bibel in der Versenkung verschwindest.

1. Inkontinenz und Suizidalität

Mal ernsthaft, nur schon während ich diese Überschrift tippe, muss ich laut lachen. Wir kennen das doch alle. Wenn jemand etwas so Absurdes sagt, dass man einfach nur laut lachen muss. Anyway, du sendest mir zwar all diese Links zu angeblicher Inkontinenz von Menschen, die Analsex haben, sowie zu Studien bezüglich erhöhter Suizidalität von Homosexuellen. Ich habe mir die Links angeschaut und muss feststellen: Der Einzige, der eine Verbindung zwischen diesen zwei Themen herstellt, bist du.

Die erhöhte Suizidrate bei Homosexuellen ist aber tatsächlich ein ernstzunehmendes Problem. Dazu gibt es mehrere Studien, eine hast du mir sogar in deiner E-Mail gesendet. Interessant an den Studienergebnissen ist jedoch Folgendes: Die erhöhte Suizidgefahr ist häufig auf Diskriminierung zurückzuführen, welche homosexuelle Menschen immer wieder erleben. «Internalisierte Homophobie» ist ebenfalls ein gewichtiger Faktor und wird auch in der Studie genannt, die du mir geschickt hast. Internalisierte Homophobie geschieht beispielsweise, wenn ein Kind dauernd gesagt bekommt, dass Homosexualität falsch und schlecht sei. So wie du es beispielsweise dauernd predigst. Umso wichtiger ist es, dass es Fachstellen wie die von dir so gehasste Fachstelle Lust und Frust gibt, welche schädigenden Predigten wie deinen entgegenwirken. Hättest du etwas mehr als den Titel der Studie gelesen, die du mir gesendet hast, würdest du wissen, dass die Autoren auf Seite 35 bei ihren Schlussfolgerungen schulische Aufklärung als Prävention gegen Suizidalität empfehlen:

«Außerhalb des klinischen Settings bietet sich vor allem die Schule als Ort für Prävention an. „MindMatters“, ein schulisches Gesundheitsförderungsprogramm, beinhaltet ein eigenes Modul zum Thema sexuelle Orientierung und ist ein hervorragendes Beispiel, wie dies realisiert werden kann.»

Womit wir eigentlich wieder beim Thema amüsant wären. Du schickst mir eine Studie, um deine absurde These zu untermauern, merkst aber nicht, dass dir die Studie komplett widerspricht. Man nennt das wohl den Fanatismus-Filter.

Wenn man wirklich etwas gegen die erhöhte Suizidrate Homosexueller unternehmen möchte, dann braucht es Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung (ja, ich habe das Wort gleich dreimal wiederholt, einerseits um die Wichtigkeit zu unterstreichen, andererseits aber auch, weil ich weiss, wie sehr dir ein kalter Schauer über den Rücken läuft, wenn du dieses böse Wort liest).

Darum ernsthaft: Menschen mit deinem Gedankengut tragen einen wesentlichen Teil dazu bei, dass homosexuelle Menschen diskriminiert werden, hinterfragen, wo es nichts zu hinterfragen gibt und deswegen depressiv oder gar suizidal werden.

2. Einigkeit der Kulturen zur Homosexualität

Dass du Homosexualität als psychische Störung betrachtest, hast du auch an der Gemeinderatssitzung vom 18. April 2018 wieder zum Ausdruck gebracht. So hast du gesagt, dass Homosexualität über Jahrtausende als psychische Störung betrachtet worden wäre. Auch heute noch sei sich die Mehrheit der Kulturen einig, dass Homosexualität eine psychische Störung darstelle.

Mittlerweile ist hinlänglich bekannt, dass Homosexualität schon immer und überall in der Welt vorkam, akzeptiert und gelebt wurde. So kam Homosexualität in der Antike vor, bei den Griechen, bei den Römern, in Afrika (in Zimbabwe alleine wurde bei 48 Stämmen homosexuelles Verhalten festgestellt), im alten China, usw.

Und weisst du, bis wann Homosexualität okay war? Bis Fanatiker wie du mit ihren heiligen Büchern in der einen Hand und dem Schwert in der anderen diese Länder kolonialisierten oder durch verschiedene Gesetze verboten. Das ist etwa so, wie wenn du ein schönes, grosses Haus abfackelst und danach allen sagst, dass man in den Ruinen nicht leben kann. Natürlich wird man dir zustimmen, dass man in den Ruinen nicht mehr leben kann, nur wäre ein friedliches, zufriedenes Wohnen im Haus möglich gewesen, hättest du und deine Clique es nicht abgefackelt.

Und weisst du, wo Homosexualität immer vorkam, weiterhin vorkommt und von niemandem verboten wurde? Im Tierreich. In über 1’500 Spezies wurde Homosexualität festgestellt.

Die einzige Spezies, die Homosexualität verboten hat, ist der Mensch. Und weswegen? Wegen ein paar angeblich heiligen Büchern.

So, wir wissen also, dass Homosexualität in jeder Zeitepoche weltweit sowohl beim Menschen wie auch im Tierreich vorkam. Und doch sollten wir Homosexualität als unnatürlich bezeichnen, weil das von einem Buch behauptet wird, in welchem Schlangen mit Menschen sprechen, ein Typ mit einem Stock das Meer in zwei Hälften teilt und ein anderer Wasser zu Wein zaubert?

Versteh mich nicht falsch, ich finde es völlig in Ordnung, wenn du ein Fanboy dieses Buches bist – ich bin ja auch ein Fanboy von Superheldencomics. Aber nur weil in den Comics die gelbe Farbe die grösste Schwäche meines Lieblingssuperhelden, Green Lantern, darstellt, möchte ich jetzt auch nicht gerade ein Gesetz zum Verbot des Gebrauchs der gelben Farbe erlassen.

Wir alle haben unsere Superhelden. Du hast Jesus, ich habe die Superhelden des DC- und Marvel-Universums. Zugegeben, Jesus ist schon cool – nicht nur weil er Wasser zu Wein zaubern konnte (wie geil wäre diese Superheldenkraft bitteschön). Denn er kümmert sich nicht nur um die Armen (ganz im Gegensatz zu deiner Partei), sondern verbrachte seine Freizeit mit 12 Typen und einer Prostituierten und wurde von einem Typen geküsst, der ihn hinterging– womit er eigentlich viel mehr Gemeinsamkeiten mit mir und vielen meiner schwulen Freunde hatte als mit dir.

Darum: Lassen wir die sprechenden Schlangen und die böse gelbe Farbe in unseren Büchern, und lass uns nicht anderen Menschen das Leben schwer machen, deal?

3. Homophobie und Homosexualität

Was mir immer wieder auffällt: Du schmeisst mit Zitaten, Zeitungsartikeln und Studien (die du offenbar gar nicht verstehst, wie wir vorher bemerkt haben) um dich, blendest aber eine in der Zwischenzeit ebenfalls mehrfach belegte Tatsache aus: Gemäss mehrerer Studien fühlen sich homophobe Menschen oftmals von Homosexualität angezogen.

So ist es denn auch nicht weiter erstaunlich, dass in den USA bei mehreren ultrahomophoben Politikern und Predigern auskam, dass sie selbst was mit Männern hatten. Mein Favorit ist ja Georg Rekers, der Gründer des homophoben Family Research Council, welches auch immer wieder homofeindliche Pseudostudien (oder haarsträubende Interpretationen von Studien) herausgibt, auf die sich Fundis wie du berufen. Georg Reekers wurde mit einem Escort Boy erwischt, welchen er über die Webseite rentboy gebucht hatte. Natürlich habe Rekers ihn nur gebucht, damit er ihm beim Tragen seiner Koffer helfen konnte, wie er sagte.

Eine Top 16 solcher Typen findest du hier.

Ich weiss nicht, warum du dich derart intensiv mit dem Thema Homosexualität befasst. Ich weiss nicht, warum du dir so viele Gedanken zu den Sexualpraktiken von Schwulen machst und gemäss deiner E-Mail auch noch mit Ärzten und «ehemaligen Homosexuellen» darüber redest. Und ich weiss auch nicht, warum du mir nun auch noch nach deinem überfälligen Abschied aus dem Gemeinderat einen offenen Brief mit mehreren Links zum Thema Analsex nachschickst.

Aber was auch immer der Grund für deine Faszination ist (wofür es natürlich viele Gründe geben kann), sei nicht zu stolz, Hilfe anzunehmen! Ich weiss, du hasst Beratungsstellen, aber vielleicht wäre es tatsächlich gut, wenn du dir das Angebot der einen oder anderen Beratungsstelle näher anschauen würdest. Viele Beratungsstellen bieten auch anonyme Beratungen an! Du musst auch keine Angst haben, als verlogen zu gelten. Christliche Werte zu predigen, während du einer Partei angehörst, welche Flüchtlinge (Jesus war ein Flüchtlingskind) und Arme dauernd schikaniert, ist da wesentlich verlogener als das Aufsuchen einer Beratungsstelle. Denn, wenn ein Thema einen zu sehr beschäftigt und einen einfach nicht loslässt, ist es wohl besser, sich diesem Thema und den Gründen dafür zu stellen – dem eigenen Seelenheil zuliebe!

Ich wünsche dir daher für dein Seelenheil, dass du irgendwann bereit sein wirst, der Ursache für deine Obsession auf den Grund zu gehen. Aber bis dahin, sei doch so gut und schweig bitte einfach zu diesem Thema – dem Seelenheil vieler anderen Menschen zu Liebe!

Mit regenbogenfarbenen Grüssen

Alan

 

9 08, 2015

Die Weltwoche: Oase der Halbwahrheiten

2015-08-09T17:07:20+02:009. August 2015|

„Eritrea, ‚Oase des Friedens’“ – So der Titel eines kürzlich erschienen Artikels in der Weltwoche. Das rechtskonservative Wochenmagazin wird damit seinem Slogan „Achtung: Kann vorhandene Vorurteile gefährden“ gerecht. Denn was ich bei diesem Artikel zu lesen bekam, korrigierte meine Vorurteile tatsächlich. Vorher hatte ich die Weltwoche einfach für ein rechtes Blättchen gehalten, das aus allen Rohren Wahlkampfthemen der SVP feuert. Okay, dieses Vorurteil wurde natürlich nicht korrigiert. Die Schweizerische Volkspartei ruft offen zu Widerstand gegen Asylunterkünfte auf, und der Chefredakteur des Blattes will ins Parlament. Deshalb tut die Weltwoche nun alles, um die Flammen einer herbeigeredeten Asylhysterie am lodern zu halten. Wie dreist sie sich dabei an Halbwahrheiten bedient, hätte ich mir aber nie erträumen lassen. Denn genau das tut sie bei ihrem Sperrfeuer gegen Asylsuchende aus Eritrea.

Wie man aus Flüchtlingen Wirtschaftsmigranten macht

Die Rechten haben die Asylpolitik (zum siebenhundertfünfundzwanzigtausendstenmal) zum Wahlkampfthema Nummer 1 erklärt Die Asylhysteriker haben jedoch ein Problem: Früher konnten sie munter behaupten, echten Flüchtlingen helfen zu wollen, nicht aber Wirtschaftsflüchtlingen, Momentan stellen jedoch vor allem Menschen aus Krisenregionen Asylgesuche in der Schweiz. Allen voran Menschen aus Eritrea. Im afrikanischen Land herrscht ein Schreckensregime, das seine Bürger terrorisiert. Kein europäisches Land schickt Flüchtlinge aus Eritrea zurück. Es ist weltweit als „Nordkorea von Afrika“ bekannt.

Nicht so in der Parallelwelt der Rechten. Um die Akzeptanz für eritreische Flüchtlinge im Volk möglichst zu senken und die Asylhysterie am kochen zu halten, werden Asylsuchende aus Eritrea kurzerhand als „Wirtschaftsmigranten“ bezeichnet (oder noch besser „illegale Wirtschaftsmigranten“, wie Roger Köppel stets mit dramatischem Unterton wiederholt). Sie hätten in Eritrea nichts zu befürchten, behaupten sie.

Halbwahrheit 1: die Pro-Eritrea-Demo

Im Artikel „Eritrea: ‚Oase des Friedens’“ empörte sich die Weltwoche darüber, dass die Medien eine Demonstration von regimetreuen Eritreern vor der UNO komplett ignoriert hätten. Beeindruckt berichtete das Magazin von „über tausend Eritreern“, die in Genf gegen einen UNO-Bericht demonstrierten, welcher der Menschenrechtslage in Eritrea ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt hatte. Ein Bericht, der gemäss der Weltwoche „aus der Feder von Sheila Keetharuth, Chefin der UNO-Untersuchungskommission für Menschenrechte in Eritrea und frühere Aktivistin von Amnesty International“ stamme. Das ist nicht ganz korrekt. Der Chef der Untersuchungskommission ist nämlich der Australier Mike Smith und nicht Sheila Keetharuth, die am Bericht nur mitarbeitete. Sie ist Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Eritrea und hat in dieser Funktion in der Vergangenheit bereits zwei Berichte über die katastrophale Menschenrechtslage in Eritrea veröffentlicht. Wahrscheinlich deshalb schoss die Weltwoche sie in früheren Artikeln bereits an (siehe weiter unten). Praktisch, Zweifel am Bericht aufkommen zu lassen, indem man Keetharuth ganz einfach als Chefin der Untersuchungskommission bezeichnet, gälled, liebe Weltwoche.

Aber zurück zum Artikel. Die Weltwoche lässt ein paar Eritreer zu Wort kommen, die das Regime in Eritrea verteidigen. Die einen bemängeln, dass die Ermittler der UNO nicht in Eritrea gewesen seien. Dabei verschweigt die Weltwoche, dass es Eritrea war, das ihnen den Zugang verweigerte. Ein anderer Eritreer bezeichnet den jahrelangen Zwangsdienst für alle Bürgerinnen und Bürger als „Ausdruck der Selbstverteidigung“. Ein jahrelanger, möglicherweise lebenslänglicher Militärdienst oder die Zuweisung in einen Nationaldienst, wo man nicht entscheiden kann, was, wie lange und wo man arbeitet, soll also Ausdruck der Selbstverteidigung sein. Natürlich hinterfragt die Weltwoche diese Sichtweise nicht. Sie empört sich nur darüber, dass niemand über diese Demonstranten berichtet. „Kein einziger Bericht“ sei in den nächsten Tagen über die „Grossdemo“ geschrieben worden. Jawohl, da demonstrieren über tausend Regimefreunde für ein Regime in Eritrea und niemand berichtet darüber. Was für eine Frechheit.

Was die Weltwoche ebenfalls verschwieg: ein paar Tage darauf hielten über 5’000 Menschen eine Gegendemonstration. 5’000, also fünfmal mehr als jene Menschengruppe, die in der Weltwoche gross und breit zu Wort gekommen waren. Diese viel grössere Gruppe demonstrierte gegen das eritreische Regime und äusserte lautstark ihre Unterstützung für den vom eritreischen Regime (und der Weltwoche) verhassten UNO-Bericht.  Die Weltwoche verlor kein Wort darüber.

Einseitige Berichterstattung

Dass eine Zeitung nur die Anhänger eines Regimes zu Wort kommen lässt und alles andere verschweigt oder gar lächerlich macht, kennt man sonst eigentlich nur von totalitären Staaten. Staaten ohne Pressefreiheit. Staaten wie Eritrea. Und es sollte nicht der einzige Artikel bleiben, der viel behauptet und wesentliche Tatsachen verschweigt.

Halbwahrheit 2: der dänische Bericht

Zuvor hatte die Weltwoche bereits in einem Artikel ausführlich über einen Bericht der dänischen Migrationsbehörden berichtet. Der Bericht war zum Schluss gekommen, dass die Menschenrechtslage in Eritrea gar nicht so schlimm sei. Vorwurfsvoll warf die Weltwoche dem Staatssekretariat für Migration vor, diesen Bericht zu ignorieren und die Asylpraxis in Bezug auf Eritrea nicht anzupassen.

Was das Magazin selbstverständlich auch wieder verschwieg: Der dänische Bericht war zuvor unter heftigen Beschuss geraten. Zwei Mitarbeiter der dänischen Migrationsbehörden, die am Bericht mitarbeiteten, hatten zuvor gegen die angeblichen Befunde der Untersuchung protestiert und wurden deswegen krank geschrieben. Eine der wenigen namentlich zitierten Quellen des Berichts, Professor Gaim Kibreab, klagte sogar öffentlich, der dänische Bericht reisse seine Aussagen aus dem Kontext. Angesichts der heftigen Kritik räumten die dänischen Migrationsbehörden ein, dass selbst sie „Zweifel“ an ihrem eigenen Bericht hegten und Eritreer in Dänemark gute Chancen auf Asyl hätten. Bis heute schafft Dänemark keine Eritreer in ihr Heimatland aus.. All das verschwieg die Weltwoche natürlich, empörte sich aber umso mehr darüber, dass die Schweiz die Frechheit besitze, diesen dänischen Bericht nicht als Anstoss für einen Praxiswechsel zu nehmen.

Halbwahrheit 3: Fortschrittliches Eritrea

Die Weltwoche stellt Eritreer nicht nur pauschal als Wirtschaftsmigranten (pardon, illegale Wirtschaftsmigranten) dar, sie redet einen totalitären Willkürstaat auch noch schön. Dies beweist das Blatt etwa mit seinem Artikel „Eritrea ist besser als sein Ruf“. Darin schreibt der Autor, die „Fortschritte“, die Eritrea bei den UNO-Millenniumzielen erreicht hätte, zeigten, dass das Regime „nicht alles falsch machen würde“. Ja easy, unterwirf dein ganzes Volk einem Schreckensregime, foltere willkürlich Menschen, eliminiere die Pressefreiheit, führe Zwangsarbeit für alle ein, verbiete ihnen ohne schriftliche Genehmigung ihr Dorf oder gar ihr Haus zu verlassen und behandle Wehrdienstverweigerer als Staatsfeinde – solange du die Millenniumziele erreichst, machst du laut Weltwoche „nicht alles falsch“.

Die Rebellenonnen von Amnesty International

Alles falsch macht dafür die UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Eritrea, Sheila Keetharuth. Diese sei schliesslich früher eine Aktivistin von Amnesty International gewesen, empört sich die Weltwoche. Was für eine Frechheit. Eine Menschenrechtsaktivistin untersucht Menschenrechtsverletzungen. Das wäre ja so absurd, wie wenn ein Erziehungswissenschaftler das Lernverhalten von Kindern untersuchen würde. Wobei der Vorbehalt der Weltwoche auch bei Amnesty International liegen könnte. Schliesslich hätte die Organisation „in einer Geheimmission“ versucht, einige Personen in Eritrea zu stationieren, schreibt das Blatt. Eine Person sogar „als Nonne verkleidet“. Okay, das geht natürlich gar nicht. Was fällt Amnesty als Menschenrechtsorganisation ein, sich in einem Land stationieren zu wollen, das keine Menschenrechtler duldet? Was fällt Amnesty ein, verkleidet ein Land betreten zu wollen, das sogar Messias/Märtyrer/Schweizretter Christoph Blocher die Einreise verweigert hat?

Doch der Artikel hat noch mehr auf Lager: Der Weltwoche lägen demnach „Dokumente vor“, laut denen die Amnesty-Aktivisten den Sturz der Regierung vorbereiten wollten. Was für Dokumente das sein sollen, führt das Enthüllungsblatt natürlich nicht weiter aus. Man stellt sich vor, wie ein Weltwoche-Journalist in die von Nonnen bewachte, atombombenproduzierende Kommandozentrale dieser Menschenrechtsterroristen eindringt und in einer lebensbedrohlichen Aktion im Dienste der Weltwochen-Wahrheit geheime Revolutionspläne für Eritrea stiehlt. Undurchsichtigen Financiers Gott sei Dank gibt es noch die Journalisten der Weltwoche, die mutig für die Diktatorendavids gegen die Menschenrechtsgoliaths einspringen. Genau wie Messias/Märtyrer/Schweizretter Blocher damals, als er (in seiner Funktion als Justizminister) bei einem Türkeibesuch die türkische Regierung entzückte, als er ihr zuliebe den Schweizer Antirassismusartikel attackierte.

Erfolgreiche Halbwahrheiten

Dass es die Weltwoche mit den Fakten (oder mit den Quellenangaben) manchmal nicht so genau nimmt, ist ja bekannt. Der Presserat rügt die Weltwoche wohl häufiger, als Roger Köppel „illegale Wirtschaftsmigranten“ (dramatische Tonlage) sagen kann.

Bedenklich ist, dass sie mit ihrer Propaganda teilweise erfolgreich ist. Viele Menschen zweifeln plötzlich daran, ob Eritrea tatsächlich ein Schreckensregime ist. Natürlich liegt das nicht alleine an der Weltwoche, so relevant ist sie nun auch wieder nicht. Vertreterinnen und Vertreter einer vermeintlich christlichen Mittepartei fordern den Bundesrat plötzlich dazu auf, er solle die Lage in Eritrea doch bitte einmal analysieren (was er Anfang 2015 bereits gemacht hat).

In Gratiszeitungen darf der vom eritreischen Regime ernannte Propagandaminister Honorarkonsul Toni Locher unwidersprochen die Zustände in Eritrea schönreden. Und die Luzerner Kantonsregierung erdreistet sich sogar, von ihrer katastrophalen Finanzpolitik abzulenken sich in die Arbeit des Staatsekretariats für Migration einzumischen, indem sie keine Flüchtlingsanerkennung von Menschen aus Eritrea fordert. Und dies, obschon sowohl die UNO als auch sämtliche Menschenrechtsorganisationen Eritrea unisono als Schreckensregime betrachten und sogar „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wittern. Die UNO geht mit dieser Bezeichnung ansonsten zurückhaltend um.

Fast am Ziel

Und dann, wenn genug Zweifel gestreut sind, wirft die Weltwoche dem Bund „Ablenkungsmanöver“ vor. So empört sie sich in einem weiteren Artikel darüber, dass der Bundesrat die Aufmerksamkeit auf syrische Flüchtlinge lenke. Dabei kämen ja mehr Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia, Sri Lanka und Afghanistan als auch Syrien.

Der Bund schiebe Syrien bewusst vor. Denn, so gibt die Weltwoche zu, dort wüte ein heisser Krieg weswegen unzählige Menschen flüchten müssten. Dass der Chefredakteur der Weltwoche in einem wütenden Pamphlet vor ein paar Monaten zuvor aber die Mitteilung des Bundesrates, mehr Flüchtlinge aus Syrien in die Schweiz zu holen, attackierte, scheint dabei vergessen. Lieber ärgert sich die Weltwoche darüber, dass auch Menschen aus Eritrea, Sri Lanka, Somalia, Afghanistan oder Nigeria überhaupt Asylgesuche in der Schweiz stellen. Zumal die allerwenigsten von ihnen laut Weltwoche „effektiv verfolgt sein dürften“.

Das Magazin verschweigt selbstverständlich, dass Sri Lanker nach ihrer Ausschaffung aus der Schweiz gefoltert wurden. Oder die furchtbaren Al-Shabab-Milizen in Somalia, die ganze Dörfer abfackeln. Und auch die Taliban in Afghanistan. Oder die grausamen Boko-Haram-Milizen in Nigeria, gegen die wir weltweit protestieren, wenn sie Mädchen entführen. Aber eben, verfolgt können die Asylsuchenden von dort nicht sein. Es muss sich bei ihnen um (dramatischee Tonlage) „illegale Wirtschaftsmigranten“ handeln.

Vorurteile gefährdet?

Nein, es sind nicht die Vorurteile, die dieses Blatt gefährdet. Sondern den Wissensstand seiner Leserinnen und Leser. Menschen lesen eine Zeitung, um sich zu informieren. Doch die Weltwoche stillt deren Wissensdurst mit Halbwahrheiten. Die Folge: Man ist faktisch noch uninformierter oder sogar falsch informierter als zuvor. Genau so werden Zweifel gestreut und Vorurteile geschürt. „Vielleicht sollten Sie die Weltwoche abonnieren“, steht auf den Gratisexemplaren der Weltwoche. Vielleicht sollte das aber einfach gar niemand mehr tun.

 

PS: Wer wirklich an ein paar Fakten interessiert ist, soll sich einmal die Übersicht von Watson ansehen oder die Analyse des Tagesanzeigers lesen.

Mehr zum Thema: Video zur Diskussion vom 5. Mai 2015 zwischen einem JSVPler und mir zum Thema Asylpolitik.

4 03, 2015

Asyl Vs. AHV: Ein offener Brief an Frau Kälin

2015-03-04T13:48:11+01:004. März 2015|

Sehr geehrte Frau Kälin

Bitte verzeihen Sie mir die Ausdrucksweise. Aber Sie gehen mir auf den Keks. Und zwar gewaltig. Wahrscheinlich können Sie nicht einmal etwas dafür. Wahrscheinlich wussten Sie es nicht besser, als Sie einen empörten Leserbrief mit dem Titel „Hätten Sie es gewusst?“ einer Zeitung schickten. Wie hätten Sie damals wissen können, dass Ihr Leserbrief noch während Jahren im Internet mit grosser Empörung geteilt wird? Wie hätten Sie damals wissen können, dass Sie mit diesem Leserbrief zu einer Art Pin-Up-Dame für alle Asylkritiker würden? Wie hätten Sie wissen können, dass die Behauptungen und die Vergleiche in Ihrem Brief völlig falsch sind? Okay, den letzten Punkt kreide ich Ihnen schon ein wenig an.

In Ihrem Leserbrief schreiben Sie, dass „gemäss aktuellen Medienberichten“ die „armen Asylanten“ 56.- Franken Sozialhilfe pro Tag erhalten würden. Dies nehmen Sie zum Anlass, um einen wütenden Vergleich zu ziehen, bei dem Sie zum Schluss kommen, dass ein Rentnerpaar, das die AHV erhält, schlechter gestellt sei, als die „Asylanten“. Auf welche Medienberichte Sie sich da beziehen (und in welchem Zusammenhang diese Zahl hätte geschrieben werden können), interessiert keinen. Und Sie offenbar auch nicht. Denn sonst hätten Sie sich informiert, bevor Sie zur Feder griffen und diesen Unsinn verfassten. Und jetzt haben wir den Salat: Seit dieser Leserbrief (meines Wissens vor ca. 3 Jahren) veröffentlicht wurde, vergeht kaum ein Monat, ohne dass ich ihn zugeschickt bekomme oder auf irgendeiner Facebookseite mit empörten Kommentaren lesen muss. Die Geschichte ist perfekt. Die armen Grosis in diesem Land kämpfen ums Überleben, während böse „Asylanten“ das Geld nachgeworfen kriegen. Mit den Zeilen, dies sei „eine Ohrfeige für alle Rentner, die ein Leben lang gespart und gearbeitet haben“ bringen Sie die kochende Seele unserer Wutbürger auf den Punkt.

Übersehen wird dabei ein kleines, aber relevantes Detail: Was Sie schreiben ist Unsinn. Kompletter Unsinn. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Behauptung 1: Asylsuchende erhalten 56.- pro Tag

Ich würde zu gerne den Asylsuchenden sehen, der 56.- pro Tag erhält. Verwirrt haben könnten Sie vielleicht Medienberichte darüber, dass die Kantone eine Pauschale von 56.- pro Asylsuchenden erhalten. Das ist aber eine Pauschale für den Kanton und nicht für die asylsuchende Person. Der asylsuchenden Person wird (wenn überhaupt) ein drei- bis fünfmal tieferer Betrag ausbezahlt. Dieser Betrag ist von Kanton zu Kanton verschieden. Eine gute Übersicht, der zu dem Zeitpunkt Ihres Leserbriefs gültigen Ansätze finden Sie hier. Wie Sie dabei selber feststellen werden, variieren die Beträge stark, sie übersteigen aber nie 17 Franken pro Tag. Daran hat sich bis heute nichts geändert. In der Stadt Zürich erhält eine asylsuchende Person heute 494.- pro Monat (also ca. 16.50.- pro Tag). Also dreimal weniger, als was Sie in Ihrem Brief behaupten.

Behauptung 2: Asylsuchende bekommen ja alles bezahlt

Sie und Ihr Wutbürgerchor könnten jetzt natürlich versucht sein, sich trotzdem zu echauffieren. Diese 16.50.- pro Tag seien immer noch viel, wenn man bedenkt, dass die „Asylanten“ Kleider, Essen, usw. „im Unterschied zu Schweizer“ bezahlt bekommen (wie Sie in Ihrem Brief ausführen). Auch diese Behauptung ist falsch. Zwar unterscheidet sich dies auch von Kanton zu Kanton. Aber von diesen 16.50.- pro Tag muss die asylsuchende Person in Zürich Essen, Kleider, Hygieneartikel, Haushalt, Tickets für den ÖV, etc. bezahlen. So. Und nun soll mir bitte mal jemand sagen, was an 16.50.- pro Tag für all diese Dinge zu viel sein soll.

Behauptung 3: Ohrfeige für Rentner, die jahrelang gearbeitet und gespart haben

Herzzerreissend empören Sie sich darüber, dass die Sozialhilfe für „Asylanten“ eine „Ohrfeige“ für all jene Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz sei, die ihr Leben lang „gearbeitet und gespart“ hätten. Sie beklagen sich darüber, dass die ärmsten Rentnerinnen und Rentner 38.- pro Tag bekämen, obwohl sie „44 Jahre für diese AHV gearbeitet“ und bezahlt hätten.

Dieser Vergleich ist in mehrfacher Hinsicht Quatsch. Erst einmal gilt festzuhalten, dass in der Schweiz die Einzahlung in die Pensionskasse obligatorisch ist. Wer also 44 Jahre lang gearbeitet hat, sollte neben der AHV noch Pensionskassengelder erhalten, um den Lebensstandard halten zu können. Wenn Sie, gute Frau Kälin, und Ihr Mann keine Pensionskassengelder haben und nur von der AHV leben, dann stimmt etwas nicht. Natürlich kann es sein, dass Sie sich die Pensionskasse ausbezahlen lasen haben, zum Beispiel für den Kauf eines Hauses (was wiederum der Behauptung, Sie müssten im Unterschied zu Asylsuchenden Miete zahlen, widerspricht). Und wenn wir schon bei Pensionskassen sind. Es sind nicht die „SP-Politiker“ für die Sie „keine Sympathie“ übrig zu haben scheinen, welche dafür kämpfen, dass weniger Pensionskassengelder ausbezahlt werden. Das ist aber ein anderes Thema (können Sie gerne hier nachlesen). Aber selbst wenn Sie tatsächlich alleine von solch tiefen AHV-Beiträgen leben sollten, lässt der rentnerfeindliche Staat Sie nicht im Stich. Dann können Sie nämlich Ergänzungsleistungen für AHV Bezügerinnen und Bezüger beantragen. Darin enthalten sind übrigens auch Leistungen für die Krankenkasse (was die armen Rentnerinnen und Rentner gemäss Ihrem Schreiben angeblich selber zahlen müssten). Berechnen können Sie Ihre Ansprüche übrigens hier.

Exkurs AHV

Wenn wir schon dabei sind, erlauben Sie mir doch bitte einen kleinen Exkurs bezüglich Arbeit und Einzahlung in die AHV. Natürlich könnten auch Asylsuchende AHV Beiträge einzahlen, wenn sie arbeiten dürften. Das dürfen sie von Gesetzes wegen aber nicht. Und wem verdanken wir dieses Gesetz? Heisser Tipp: Nicht den Ihnen unsympathischen „SP-Politikern“. Asylsuchende Personen dürfen die ersten drei Monate in der Schweiz nicht arbeiten. Danach entscheiden die Kantone, ob sie arbeiten dürfen. In vielen Kantonen gilt aber auch dann noch der „Inländervorrang“. Dies bedeutet, dass eine Person mit dem Schweizer Pass oder aus dem EU Raum für eine Arbeitsstelle zuerst berücksichtigt werden muss, bevor eine asylsuchende Person in Frage kommt. Damit verunmöglicht man diesen Menschen praktisch, eine Arbeitsstelle zu kriegen. Und das, obwohl es wünschenswert für die Gesellschaft und für die Person wäre, wenn sie arbeiten könnte (also legal, nicht wie bei SVP-Nationalarat Hans Fehr). Davon würde natürlich auch unsere AHV profitieren. (es sei denn, es werden wie damals im Hause Hans Fehr keine AHV-Beiträge einbezahlt). Die AHV, die übrigens von den Ausländerinnen und Ausländer in diesem Land sehr profitiert wenn man bedenkt, dass diese 29% in die AHV einzahlen und 17% daraus beziehen.

Bitte entschuldigen Sie all diese Informationen. Es ist mir bewusst, dass dies etwas viele Fakten für das Wutbürgertum sind. Und natürlich eignen sich diese Fakten auch nicht, um dem Wutbürgertum Munition für seine Anti-Asyl-Parolen zu liefern. Dennoch sah ich mich gezwungen, Sie, liebe Frau Kälin (und mit Ihnen das gesamte Wutbürgertum), mit diesen Fakten zu belästigen. Hoffentlich merken Sie (und Ihre Fans) dabei, wie unsinnig und falsch Ihre Behauptungen und Vergleiche waren. Und wenn nicht, dann könnten diese Zeilen hoffentlich etwas dazu beitragen, die Flammen Ihres ungerechtfertigten Lauffeuers etwas einzudämmen.

Freundliche Grüsse

Alan David Sangines

23 04, 2014

Warum ich JA zum Berufsverbot stimme

2014-04-23T11:34:43+02:0023. April 2014|

Die Diskussion um diese Initiative nervt mich. Viele Gegner reden vom Untergang des Rechtsstaates und viele Befürworter greifen in eine Populismuskiste, die an Widerwärtigkeit ihresgleichen sucht. Mir wäre es lieber gewesen, wenn das Parlament die Forderung der Initiative ins Gesetz übernommen und uns so einen hässlichen Abstimmungskampf erspart hätte.

Was will die Initiative?

Die Initiative fordert im Kern eine Selbstverständlichkeit. Wenn jemand wegen Sexualdelikten an Kindern (oder Abhängigen) verurteilt wird, soll er ein lebenslängliches Verbot erhalten, um einen Beruf mit Kindern auszuüben. Eine Selbstverständlichkeit, die auch von den allerwenigsten Gegnern der Initiative in Frage gestellt wird.

Wen triffts?

Natürlich hat die Initiative ihre Schwächen. Der Titel „Pädophile sollen nicht mehr mit Kindern arbeiten“ ist insofern falsch, als dass es nicht Menschen mit pädophiler Veranlagung trifft, so lange sie ihre Neigung nicht ausgelebt haben. Wer also behauptet, die Initiative unterscheide nicht zwischen pädophilen Menschen, die sich nie etwas zu Schulden kommen lassen haben und pädophilen Sexualstraftätern, meint damit den Titel, der aber für die Abstimmungsvorlage völlig irrelevant ist.

Eine weitere Schwäche der Initiative ist tatsächlich, dass sie die so genannte „Jugendliebe“ nicht ausklammert. Wenn also ein z.B. 20-jähriger mit einer unter-16-jährigen ins Bett steigt und angezeigt wird, riskiert er ein lebenslängliches Berufsverbot, sollte die Initiative wortgetreu umgesetzt werden. Der Prozess nach Annahme einer Initiative ist aber immer derselbe: das Parlament muss sie umsetzen. Es liegt also am Parlament, diesen Fall von Jugendliebe bei der Umsetzung auszuschliessen. In der parlamentarischen Debatte war völlig klar, dass niemand möchte, dass die Jugendliebe betroffen ist. Selbst die Initianten sagen deutlich, dass sie den Fall der Jugendliebe nach Annahme der Initiative ausklammern wollen. Es ist also unter keinem Titel ersichtlich, warum man davon ausgeht, dass die Jugendliebe bei Umsetzung der Initiative betroffen sein könnte.

Unverhältnismässig?

Die Gegner argumentieren auch mit der Unverhältnismässigkeit dieser Initiative, weil sie einen Automatismus einführt und das Berufsverbot lebenslänglich ausgesprochen wird. Tatsächlich sind Automatismen im Strafrecht einem Rechtsstaat grundsätzlich unwürdig. Wir reden hier jedoch nicht davon, einen Täter nach Entlassung an einen Pranger zu stellen (obwohl gewisse Rechtspopulisten solche absurden Ideen bereits seit Jahren immer wieder ins Spiel bringen), länger zu bestrafen als nötig oder irgendwelchen Schikanen auszusetzen. Hier geht es um die Ausübung eines Berufs (bzw. ehrenamtliche Tätigkeit) mit Kindern. Der Betroffene kann nach Annahme der Initiative immer noch einen von hunderten anderen Berufen auswählen, in denen er nicht mit Kindern arbeitet. Man kann dies also statt als Strafe als Berufserfordernis sehen. Um Pilot zu werden braucht man beispielsweise auch ein Tauglichkeitszeugnis, das man nur kriegt, wenn man gewisse Sehtests besteht. Wenn eine Person ihr ganzes Leben nicht Pilot werden kann, weil sie nicht über das erforderliche Sehvermögen verfügt, würde kein Mensch von einer unverhältnismässigen Strafe sprechen.

Der Gegenvorschlag

Bundesart und Parlament haben einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der eigentlich gut, richtig und wichtig ist. Er beinhaltet sinnvolle Massnahmen, welche die Initiative übersehen hat (wie z.B. Rayonverbote). Allerdings möchte er kein automatisches lebenslängliches Berufsverbot. Interessant dabei ist, dass die Gegner zwar den Automatismus beim lebenslänglichen Berufsverbot verteufeln, im Gegenvorschlag aber auch einen Automatismus vorgesehen haben (automatisch 10 Jahre Berufsverbot bei Freiheitsstrafe von mehr als 6 Monaten). Wenn die Initiative angenommen wird, so tritt der Gegenvorschlag trotzdem in Kraft (mit all seinen sinnvollen Massnahmen), muss aber so angepasst werden, dass das Berufsverbot automatisch lebenslänglich gilt.

Verhältnismässige Einschränkung

Von einem angehenden Kleinkindererzieher oder Lehrer zu verlangen, dass er nie wegen einem Sexualdelikt an Kindern verurteilt wurde, erachte ich als sinnvoll und verhältnismässig. Selbst wenn ein Verurteilter nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis in Therapie ist und als ungefährlich eingestuft wird, so ist nicht einzusehen, warum man ihn und die Kinder einem Rückfallrisiko aussetzen will, so klein es auch sein mag. Der Betroffene ist weder in seiner Existenz gefährdet (er kann einen von hunderten anderen Berufen ausüben) noch wird er durch irgendwelche öffentlichen Pranger schikaniert (solch absurde Ideen sind zu bekämpfen). Es geht also lediglich darum, dass der Betroffene von hunderten von Berufen ein paar weniger ausüben kann. Dies ist zumutbar und in meinen Augen keineswegs unverhältnismässig, erst recht nicht wenn man die leichte Berufswahleinschränkung dem Risiko einer Rückfallgefahr und damit den Schutz der Kinder gegenüber stellt.

Fazit

Natürlich wird die Initiative nicht alle sexuelle Übergriffe auf Kinder verhindern. Selbstverständlich ist längst belegt, dass die meisten sexuellen Übergriffe vom familiären Umfeld ausgehen. Aber die Initiative kann einen Teil dazu beitragen, um Kinder zu schützen. Und auch wenn dadurch nur ganz wenige Übergriffe verhindern werden können, hat sich die Initiative bereits gelohnt, zumal sie etwas sinnvolles will und dabei trotz Schönheitsfehlern keine unverhältnismässigen Massnahmen mit sich bringt.

Darum stimme ich  JA zu dieser Initiative!

19 12, 2013

Ehedefinition: Warum die CVP Argumente Unsinn sind

2016-02-07T15:01:22+01:0019. Dezember 2013|

Nachdem der Bundesrat die Steinzeit-Initiative der CVP zur Annahme empfohlen hat, fühlt sich die Partei, die das C ihres Parteinahmen wieder entdeckt hat, im Aufwind. Offensiver denn je werben sie für die Initiative und behaupten dabei ungeniert Unsinn, um dem Volk Sand in die Augen zu streuen. Höchste Zeit also, um ihre vier Hauptargumente unter die Lupe zu nehmen.

Behauptung 1: Definition bereits heute in der Verfassung

Die CVP schreibt auf der Webseite der Initiative:

„Schwulen- und Lesbenorganisationen stören sich daran, dass die Definition der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau erstmals in der Verfassung verankert wird. Doch: die Definition ist bereits heute darin verankert.“

Dies hat die Aargauer CVP-Grossrätin Marianne Binder auch anlässlich einer Radiodiskussion auf Radio SRF 1 gesagt. Auf die Frage angesprochen, wo diese Definition denn bereits in der Verfassung stünde, antwortete sie mit „in Artikel 14“ (Minute 13:18 der Diskussion).

Nun, schauen wir uns also Artikel 14 der Bundesverfassung an. Dort steht

„Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet.“

Artikel 14 enthält also keine Definition der Ehe. Genauso wenig wie irgend ein anderer Artikel in der Verfassung. Die Behauptung, dass eine Definition, welche die Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau festlegt, bereits heute in der Verfassung verankert ist, ist also falsch.

Behauptung 2: Ehedefinition in der Verfassung ändert nichts  

Weil die CVP weiss, dass die Ehedefinition nirgends in der Verfassung verankert wurde, versucht sie auf die Botschaft des Bundesrats und die heutige Gesetzeslage zu verweisen. Die CVP schreibt weiter auf ihrer Webseite:

„Bei der Abstimmung über die neue Bundesverfassung wurde die Ehe […] von Bundesrat, Parlament und Volk ausdrücklich im traditionellen Sinne interpretiert und festgelegt. Nachzulesen ist dies in der Botschaft des Bundesrates zur neuen Bundesverfassung vom 20. November 1996 auf den Seiten 154 und 155.“

Stimmt, die Ehe wurde damals, also vor 17 (!) Jahren als Verbindung zwischen Mann und Frau verstanden. Dennoch haben es Bundesrat und Parlament unterlassen, diese Definition in die Verfassung zu schreiben. Dies bedeutet, dass das Parlament heute entscheiden könnte, die Ehe gegenüber homosexuellen Paaren zu öffnen. Dafür müsste man lediglich Anpassungen auf gesetzlicher Stufe vornehmen. Die Verfassung würde dies dem Parlament nicht verbieten. Würde die Ehedefinition in der Verfassung verankert, könnte das Parlament die Ehe für homosexuelle Paare nicht mehr öffnen.

2.1 Trend zur Eheöffnung

Dass der Trend in diese Richtung geht, zeigen immer mehr Länder. Seit 1996 öffneten bereits 17 Länder die Ehe für homosexuelle Paare. Das erste Land war im Jahr 2001 die Niederlande. Und dieses Jahr hat England beschlossen, dass das zurzeit existierende Partnerschaftsgesetz für homosexuelle Paare nicht länger gut genug sei, weswegen das Land die Ehe für homosexuelle Paare ab 2014 öffnen wird. Dazu kommen zahlreiche Teilstaaten, z.B. in den USA oder in Mexiko.

Im US-Bundesstaat Kalifornien haben Gerichte die mittels Volksabstimmung in der Verfassung verankerte Definition der Ehe als Verbindung zwischen Mann und Frau in den letzten Jahren durch alle Instanzen für ungültig erklärt.

Das Beispiel USA ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie sich das Eheverständnis auch in einem tendenziell konservativen Land wandeln kann. Nachdem noch vor ein paar Jahren kaum eine Politikerin oder ein Politiker es gewagt hätte, die Eheöffnung für Homosexuelle zu befürworten, steht mittlerweile eine Mehrheit des Volkes sowie der amtierende Präsident hinter der Eheöffnung. Sogar die ultrakonservativen Republikaner, die jahrelang immer wieder versuchten, die amerikanische Bundesverfassung mit genau jener Ehedefinition zu ergänzen, die jetzt die CVP in der Schweiz verankern will, haben ihren Kampf in der Zwischenzeit praktisch aufgegeben.

2.2 Stiller Verfassungswandel möglich

Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis dieser Wandel des Ehebegriffs auch in der Schweiz Realität wird. Juristen und Professoren sprechen hier von einem „stillen Verfassungswandel“, also dass die Ehe auch gegenüber homosexuellen Paaren geöffnet werden kann, ohne dass eine Änderung der Verfassung nötig wäre. Die Definition der CVP würde diesen stillen Verfassungswandel jedoch verunmöglichen.

Dieser Meinung sind sowohl namhafte Professoren als auch das Eidgenössische Justiz und Polizeidepartement.

2.3 Was sagen Professoren?

Die CVP beruft sich zur Stütze ihrer Argumentation gerne auf Prof. Bernhard Ehrenzeller, Professor für Öffentliches Recht der Universität St. Gallen und Direktor am Institut für Rechtswissenschaft und Rechtspraxis. Aber was sagt dieser Kronzeuge der CVP zu ihrer Argumentation? Gegenüber dem Tagesanzeiger liess er sich in einem Artikel zur Thematik folgendermassen zitieren:

Man kann nie ausschliessen, dass der Verfassungsbegriff der Ehe in Zukunft aufgrund einer dynamischen Auslegung offener verstanden wird, sich also auch auf andere Lebensgemeinschaften beziehen könnte. Mit der Umschreibung des Ehebegriffs in der Bundesverfassung werden einer solchen Weiterentwicklung des Rechts klare Grenzen gesetzt.

Uuups, liebe CVP.

2.4 Was sagt das EJPD?

Und auch das Bundesamt für Justiz, also die höchste juristische Instanz des Bundesrats widerspricht der CVP Argumentation. So enthüllte das Mannschaft-Magazin, zusammen mit Anton Kohler, dass das Bundesamt für Justiz wegen dieser Definition die ganze Initiative hätte ablehnen wollen. Das Bundesamt für Justiz schrieb denn auch

„[…]dass in Zukunft ein sog. stiller Verfassungswandel stattfinden könnte, der es bei gleichbleibendem Wortlaut erlauben würde, auch gleichgeschlechtliche Partnerschaften zur Ehe zuzulassen […] Würde die Initiative angenommen, wäre ein solcher stiller Verfassungswandel nicht mehr möglich. Ohne einer allfälligen künftigen Entwicklung vorgreifen zu wollen erscheint es im vorliegenden Kontext verfehlt, diese wichtige gesellschaftspolitische Frage sozusagen en passant mitzuentscheiden und explizit in der Verfassung zu verankern.“

Nochmals uuups, liebe CVP.

2.5 Bundesrat krebste zurück

Auch wenn die Stellungnahme des EJPD den Bundesrat nicht zum Umdenken bewegte, so schien sie bei ihm trotzdem auf Gehör zu stossen. Denn ursprünglich wollte der Bundesrat in seiner Botschaft auf die Diskussion rund um die Ehedefinition eingehen. Im Botschaftsentwurf wollte er unter Punkt 3.2.3 darauf hinweisen, dass er an der traditionellen Ehedefinition festhalten möchte. Das EJPD schrieb, dass diese „Äusserungen ersatzlos zu streichen“ seien. Es schrieb weiter:

„Der Bundesrat legt sich hier fest, ohne dass aufgrund des Kontexts dazu tatsächlich eine Notwendigkeit besteht. Es handelt sich hier um ideologische Ausführungen, die nichts mit der im vorliegenden relevanten Fragen zu tun haben. Zwar ist es richtig, dass sich der Bundesrat in der Vergangenheit entsprechend geäussert hat. Betrachtet man aber die gesellschaftspolitischen Entwicklungen im In- und Ausland, ist die Bedeutung solcher Äusserungen aus der Vergangenheit zu relativieren.“ Dies schien den Bundesrat zu überzeugen. In der definitiven Botschaft ist zur Ehedefintion nichts mehr zu lesen. Dies beweist, dass auch dem Gesamtbundesrat bewusst geworden sein muss, dass ein Wandel der Ehedefinition durchaus möglich wäre.

Und nochmals: Uuups, liebe CVP.

Behauptung 3: Wenn Ehe geöffnet werden soll, muss Verfassung geändert werden

Die CVP behauptet aufgrund ihrer (oben widerlegten) Argumentation, dass eine Verfassungsänderung nötig ist, wenn die Ehe homosexuellen Paaren gegenüber geöffnet werden soll. Nun, wie genau soll das denn gehen? Sollen wir eine Initiative zur Änderung der Botschaft von 1996 lancieren? Schliesslich ist dies das einzige Dokument, auf das sich die CVP ihrer Argumentation berufen kann – in der Verfassung steht keine Definition. Da die Ehe in der Verfassung nirgends definiert wird, ist es überhaupt nicht nötig, dass wir eine Initiative einreichen, um die Ehe gegenüber homosexuellen Paaren zu öffnen. Wie oben dargelegt, könnte dies leidglich auf Gesetzesstufe gemacht werden. Diese Behauptung ist also nichts weiter als eine Nebelpetarde, um das Volk zu verwirren.

Behauptung 4: Definition ist nötig zur Abschaffung der Heiratsstrafe

Die CVP schreibt auf ihrer Webseite

„Man muss die Ehe umschreiben, wenn man die Diskriminierung der Ehe abschaffen will.“

Aha. Stimmt, ohne Definition wüsste man nicht, was unter Ehe verstanden wird. Der Bundesrat, das Parlament und das Volk wären in Chaos versunken beim Versuch herauszufinden, was die geheimnisvollen Worte „Ehe“, „Eheleute“ oder „Ehepaare“ zu bedeuten hat. Die CVP hat die Schweiz vor einem riesigen Chaos bewahrt, wie nett von ihnen.

Dass diese Behauptung absurd ist, wird nur schon klar, wenn man die Behauptungen 1, 2 und 3 der CVP bedenkt. Da stellt sich die Partei auf den Standpunkt, dass die Definition schon in der Verfassung verankert sei bzw. in der Botschaft des Bundesrates von 1996 bzw. dass die Öffnung der Ehe gegenüber homosexuellen Paaren eine Verfassungsänderung bedinge. Aber eben, um finanzpolitische Nachteile von Eheleuten abzuschaffen, ist eine Ehedefinition nötig. Diese Behauptung steht in solch komplettem Widerspruch zu den restlichen Behauptungen, dass man sich geradezu fremdschämen muss, wenn man sie liest.

Und falls dies noch immer nicht überzeugend genug war, lassen wir doch den Kronzeugen der CVP, Professor Ehrenzeller zu Wort kommen. Gegenüber dem Tagesanzeiger meinte er im oben zitierten Artikel auch:

„Die Definition der Ehe hätte man in der Familieninitiative auch offen lassen können. Zumindest verfassungsrechtlich war das keine Notwendigkeit. Aber das ist ein politischer Entscheid und damit das Recht der Initianten.“

Und einmal mehr: Uuups, liebe CVP.

Fazit

Die Argumentation der CVP, warum die Ehedefinition für das finanzpolitische Anliegen dieser Initiative nötig ist, entbehrt jeder Grundlage. Die Behauptungen scheinen auf den ersten (und sehr flüchtigen) Blick logisch, auf den zweiten Blick entpuppen sie sich aber als kompletter Unsinn. Eine Verankerung dieser ultrakonservativen Ehedefinition würde die Schweizer Verfassung zu einer der rückständigsten Verfassungen von ganz Europa machen und damit völlig quer in der Landschaft stehen. Was jedoch weitaus schlimmer ist; sie würde unmissverständlich klar stellen, dass unsere Verfassung homosexuelle Partnerschaften nicht als gleichwertig wie heterosexuelle Partnerschaften betrachtet und deswegen nicht zur Ehe zugelassen werden darf. Eine solche Diskriminierung ist unserer Verfassung nicht würdig.

Es ist deswegen komplett falsch, wenn die Gerhard Pfisters, Christophe Darbellays und andere Vertreter dieser Partei gegenüber den Medien treuherzig versprechen, bei dieser Initiative ginge es nicht um die Ehedefinition, sondern rein um die Abschaffung der Heiratsstrafe. Wer sich mit der Vorlage befasst hat, weiss es besser. Und jene, welche die Beteuerungen wirklich glaubten, sollten es spätestens ab jetzt nicht mehr tun.

21 11, 2013

Warum die CVP Initiative für (teil)ungültig zu erklären ist

2013-11-21T01:12:26+01:0021. November 2013|

Bald wird die Steinzeit-Initiative der CVP, die eine konservativen Definition der Ehe und gleichzeitig die Abschaffung von finanziellen Benachteiligungen von Ehepaaren fordert, in die parlamentarische Beratung kommen. Im Vordergrund der Diskussion im Kampf gegen die Initiative steht die Idee eines Gegenvorschlags, der die rückständige, ultrakonservative Ehedefinition der CVP weglässt. Sollte die Intiative gültig sein, ist ein Gegenvorschlag selbstverständlich nötig. Aber ist sie das?

Einheit der Materie – was ist das?

Damit eine Volksinitiative in der Schweiz gültig ist, muss sie die so genannte „Einheit der Materie“ erfüllen. Dies bedeutet, dass Forderungen einer Initiative einen sachlichen Zusammenhang aufweisen müssen. Weiter bedeutet dies, dass die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Möglichkeit haben sollten, ihren politischen Willen unverfälscht abgeben zu können. In seiner Botschaft zur Initiative äussert sich der Bundesrat mit zwei Standardsätzen zu dieser wichtigen Frage.  Auf Seite 4 schreibt er

zwischen den einzelnen Teilen der Initiative besteht ein sachlicher Zusammenhang. Die Initiative erfüllt somit die Anforderung an die Einheit der Materie.

Wow –wie überzeugend.

Eine Abstimmung – Zwei Fragen

Man kann sich streiten, ob allenfalls ein gewisser sachlicher Zusammenhang zwischen einer Ehedefinition und den von Eheleuten zu bezahlenden Steuern besteht. Was ist aber mit dem Recht, seine Meinung unverfälscht abgeben zu können? Wenn man nämlich genauer hinsieht, wird deutlich, dass es sich bei dieser Vorlage um zwei Themen handelt.

Der erste Satz legt in der Verfassung eine Definition des Wortes Ehe fest. Eine solche Definition steht noch nirgends in der Verfassung und würde mit dieser Initiative zum allerersten Mal in der Verfassung verankert. Es handelt sich hier also um eine gesellschaftspolitische Frage: Wollen wir in der Verfassung ausdrücklich festhalten, dass die Ehe nur als Lebensgemeinschaft zwischen Mann und Frau gilt?

Der zweite Teil der Initiative fordert die Abschaffung der steuerlichen (und sozialversicherungsrechtlichen) Benachteiligung von Ehepaaren. Hier handelt es sich um eine finanzpolitische Frage: Wollen wir diese finanziellen Benachteiligungen für Ehepaare abschaffen?

Perfides Dilemma

Wenn die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger über diese Initiative abstimmen, müssen sie zwei verschiedene Fragen mit einer einzigen Antwort beantworten. Es ist z.B. nicht möglich, dass ich NEIN zur Definition der Ehe in der Verfassung sagen will, gleichzeitig aber JA zur Abschaffung der finanziellen Benachteiligung für Eheleute stimmen möchte. Man muss sich also entscheiden, was man schwerwiegender findet. Das verunmöglicht nicht nur die unverfälschte politische Willensäusserung, sondern tut dies auch auf eine sehr perfide Art und Weise. Homosexuelle stellen in der Schweiz eine Minderheit dar. Man lockt also die  heterosexuelle Mehrheit mit einer finanzpolitischen Frage, um sie gleichzeitig für ein Anliegen zu gewinnen, das von den betroffenen Minderheiten vehement abgelehnt wird. Im Klartext: Wenn ihr JA stimmt, sorgt ihr dafür, dass homosexuelle Paare per Verfassung von der Ehe ausgeschlossen werden, dafür erhaltet ihr aber finanzielle Vorteile.

Wir alle wissen, dass finanzielle Entlastungen bei den Stimmbürgerinnen und Stimmbürger immer eine grosse Rolle spielt. Die Abschaffung der Heiratsstrafe ist denn auch äusserst populär. Die CVP versucht also bewusst, den Wunsch nach finanzieller Entlastung als Trumpf auszuspielen, um eine  ultrakonservative Ehe-Definition in der Verfassung zu verankern. Das ist zwar geschickt, dafür aber umso perfider.

Missbrauch des Initiativrechts

Würde man diese Initiative für gültig erklären, würde das nicht nur den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern die Möglichkeit nehmen, ihre Meinung unverfälscht zu äussern. Nein, man würde auch zulassen, dass das Initiativrecht dazu missbraucht wird, Mehrheiten gegen Minderheiten auszuspielen. Diese Gefahr besteht zwar bei jeder Initiative, die sich gegen Minderheiten richtet. Aber die Dreistigkeit des Grundsatzes dieser Initiative, nämlich ihr-von-der-Mehrheit-erhält-finanzielle-Vorteile-wenn-ihr-die-Minderheit-schikaniert, ist dann doch nochmals ein anderes Kaliber. Ein Kaliber, das auch im krassen Gegensatz zu dem steht, was in unserer Bundesverfassung zuvorderst zu finden ist nämlich, dass „die Stärke des Volkes sich misst am Wohle der Schwachen“.

Wegweisender Entscheid

Bleibt zu hoffen, dass das Parlament diesem perfiden Spielchen eine deutliche Abfuhr erteilt und die Volksinitiative zumindest teilweise für ungültig erklärt. Damit könnte der erste Satz der Initiative gestrichen werden und nur die finanzpolitische Frage zur Abstimmung gelangen. Sollte es der CVP wirklich nur um die Heiratsstrafe gehen, wird sie gegen dieses Vorgehen nichts einzuwenden haben. Dies wäre nicht nur die sauberere Lösung.  Vielmehr würde damit auch deutlich gezeigt, dass ein solch hinterhältiges Vorgehen nicht akzeptiert wird. Dies würde nicht nur Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transmenschen nützen, sondern auch dem politischen Frieden in unserem Land.

 

Erster Blog zum Thema unter diesem Link.

4 09, 2013

Tankstellenshops: Pragmatik statt Unsinn

2019-02-18T10:04:44+01:004. September 2013|

Um es vorweg zu nehmen – aus Gründen des Arbeitnehmerschutzes bin auch ich dagegen, dass alle Läden rund um die Uhr geöffnet haben dürfen. So habe ich denn auch vor einem Jahr mit Überzeugung gegen die „Kunde ist König“-Initiative der FDP Kanton Zürich gestimmt, die eine vollständige Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten gefordert hätte.

Genauso überzeugt werde ich allerdings am 22. September 2013 JA zu der pragmatischen und sanften Realitätsanpassung des Arbeitsgesetzes stimmen.

Bedürfnis ausgewiesen
Heute ist es so, dass Tankstellen und von Tankstellen betriebene Bistrots rund um die Uhr ohne Bewilligung offen haben dürfen. Dazugehörige Shops dürfen täglich bis 1:00 Uhr nachts und am Sonntag geöffnet sein. Zwischen 1:00 und 5:00 Uhr müssen diese Shops nach heutigem Gesetz geschlossen werden.

Das SECO anerkennt zwar, dass Tankstellenshops nachts von vielen Kundinnen und Kunden aufgesucht werden, die aus Berufsleuten (z.B. Polizisten, Schichtarbeitende oder Taxifahrerinnen) und Menschen bestehen, die sich auf dem Heimweg von einem Kinobesuch oder einer Party befinden. Trotzdem erachtet es das SECO aber nicht für nötig, dass diese Shops um diese Zeit offen haben dürfen, zumal eine Schliessung der Shops „nicht von einen Grossteil der Bevölkerung als wesentlicher Mangel empfunden würde.“ Aha.

Dies führt also zur absurden Situation, dass Tankstellenbetreiber Personal die ganze Nacht durch zwar beschäftigen dürfen, dieses aber nur einen Teil des Sortiments in der Tankstelle verkaufen darf. In der ganzen Schweiz sind aktuell 24 Tankstellen (9 an Autobahnraststätten und 5 an Hauptverkehrswegen im Kanton Zürich) davon betroffen.

Moderate Anpassung
Um diese Sortimentsbeschränkung zu beheben, haben Bundesrat und Parlament beschlossen, die entsprechende Gesetzesbestimmung moderat aufzulockern. Während die FDP wollte, dass alle Tankstellenshops an Hauptverkehrsstrassen in der Nacht geöffnet sein dürfen, einigte sich das Parlament auf eine restriktivere Version. Gemäss dieser Version dürfen Tankstellenshops in der Nacht nur geöffnet sein (bzw. Personal beschäftigen), wenn sich diese an Autobahnraststätten oder an „Hauptverkehrswegen mit starkem Reiseverkehr“ befinden. Das Sortiment muss weiterhin in erster Linie auf die Bedürfnisse von Reisenden ausgerichtet sein. Dies führt allerdings nicht dazu, dass alle Tankstellenshops, die diese Kriterien erfüllen automatisch in der Nacht Personal beschäftigen können. Die fraglichen Tankstellenshops müssen sich nämlich auch dann noch an die von den jeweiligen Kantonen bestimmten  Ladenöffnungszeiten halten.

Keine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen
Um nur das geht es – und um nichts anderes in dieser Vorlage. Unter dem völlig unzutreffenden Namen „Sonntagsallianz“ warnen die Gegner vor mehr Sonntags- und Nachtarbeit sowie vor einem „24-Stunden-Arbeitstag“. Zumindest bei dieser Vorlage sind diese Befürchtungen kompletter Unsinn. Sonntagsarbeit ist heute bereits in den entsprechenden Shops erlaubt. Damit ändert sich weder bei einem JA noch bei einem NEIN auch nur das geringste. Der Name „Sonntagsallianz“ kann also nicht unpassender sein. An den Arbeitszeiten des Personals ändert sich in diesen 24 Shops auch nichts. Schliesslich werden die Arbeitszeiten mit dieser Vorlage nicht verlängert (das Arbeitsgesetz sieht strenge Bestimmungen für Nachtarbeit vor), sondern führen lediglich dazu, dass das Personal um 1:00 Uhr nicht einen Teil des Sortiments mühsam abdecken, wegsperren oder mit Ketten abschliessen muss. Die Bestrebungen von Bürgerlichen Ladenöffnungszeiten rund um die Uhr zuzulassen haben denn auch nichts mit dieser Vorlage zu tun und können in allfälligen späteren Abstimmungen auch dann vom Volk abgelehnt werden, wenn man dieser Vorlage zustimmt.

Anmassende Bevormundung
Man kann der Meinung sein, dass es nicht nötig ist, um 1:00 Uhr morgens eine Tiefkühlpizza, eine Bratwurst oder einen Cremedessert zu kaufen. Es ist jedoch ziemlich anmassend, mündigen Menschen vorzuschreiben, was sie zwischen 1:00 und 5:00 Uhr in der Nacht in einer ohnehin geöffneten Tankstelle an Lebensmitteln kaufen dürfen. Es geht schliesslich niemanden etwas an, ob die Polizistin auf ihrem Heimweg lieber eine Tiefkühlpizza mit nach Hause nimmt und dort aufwärmt oder ob ein Krankenpfleger Spaghetti und Tomatensaucen kaufen möchte, um sie zu Hause noch zu kochen. Dies soll nicht dazu führen, dass sämtliche Läden rund um die Uhr geöffnet haben sollen, aber wenn eine Tankstelle schon offen ist und Personal beschäftigt, soll die Kundschaft auch selber entscheiden dürfen, was sie im entsprechenden Shop an Produkten kauft.

Kampf muss Arbeitsbedingungen gelten
Es ist wichtig, dass sich die Politik stark für die Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einsetzen. Dies muss aber über gute Arbeitsbedingungen geschehen. Dies kann von höheren Löhnen bis hin zu strengeren Ruhezeiten im Arbeitsgesetz gehen. Dem Personal ist aber überhaupt nicht gedient, wenn es zwar in der Nacht in einer Tankstelle hinter der Theke stehen und Hot Dogs verkaufen darf, der Kundschaft aber gleichzeitig erklären muss, warum sie keine Tiefkühlprodukte oder gekühlte Cremedesserts kaufen darf.

Bei dieser Vorlage geht es um eine moderate Anpassung des Arbeitsgesetzes, welche die Rechte der Arbeitnehmenden nicht verschlechtert, sondern lediglich eine unsinnige Sortimentsbeschränkung aufhebt. Betroffen davon wären schweizweit lediglich 24 Tankstellen. Wer am 22. September 2013 JA zu dieser Vorlage stimmt, kann später noch immer NEIN zu weiteren Liberalisierungen der Ladenöffnungszeiten stimmen. Wer JA sagt, stimmt nicht für schlechtere Arbeitsbedingungen des Verkaufspersonals, sondern gegen unsinnige Sortimentsbeschränkung, die dem Personal nichts nützt und die Kundschaft bevormundet. Deswegen stimme ich am 22. September 2013 pragmatisch JA zu dieser Vorlage und werde in Zukunft weiterhin NEIN zu vollständigen Liberalisierungsbestrebungen von Bürgerlichen stimmen.

5 06, 2013

Warum die Pride wichtig ist

2019-02-18T10:04:44+01:005. Juni 2013|

Am Samstag, dem 8. Juni 2013 ist es wieder soweit.

Wieder werden Schwule, Lesben, Bisexuelle, Transmenschen und die aufgeschlossenen Heterosexuellen unter dem Motto All Families Matter an einem bunten Demonstrationsumzug für ihre Rechte demonstrieren und danach auf dem Turbinenplatz und an diversen Parties die jährliche Pride feiern. Nun, ein paar Hirnverbrannte werden sicherlich auch dort sein und uns mit netten Flyern zu überzeugen versuchen, dass wir auf dem falschen Weg sind und in der Hölle landen. Aber wenn man bedenkt, dass jedes Ereignis seine Clowns (und damit meine ich nicht die Drag Queens, die sind nämlich cool) hat, ist das nicht weiter verwunderlich.

Braucht es die Pride noch?

Und jedes Jahr wird wieder die Frage gestellt, ob es die Pride überhaupt noch braucht. Wenn wir doch akzeptiert und so gleich behandelt werden wollen, müssen wir dann unsere separate Parade haben? Bringt es überhaupt noch was, für unsere Rechte zu demonstrieren? Schliesslich werden wir ja toleriert und Diskriminierung sind doch kaum noch vorhanden? Die Antwort ist ganz einfach: Und wie es die Pride braucht!

Ja, wir brauchen die Pride, um darauf aufmerksam zu machen, dass es uns gibt, dass wir ein gleichwertiger Teil der Gesellschaft sind und als solchen rechtlich und gesellschaftlich vollständig und ohne wenn und aber anerkannt werden wollen! Ja, die Toleranz gegenüber Homosexualität hat sich selbstverständlich verbessert. Wir wollen aber nicht toleriert, sondern als vollständigen und gleichwertigen Teil der Gesellschaft akzeptiert werden. Und soweit ist es erst, wenn z.B. zwei Männer keine Angst haben müssen, verprügelt oder beschimpft zu werden, wenn sie sich händchenhaltend in der Öffentlichkeit bewegen. Soweit ist es erst, wenn eine homosexuelle Beziehung als gleichwertig angesehen wird, wie eine heterosexuelle Beziehung und man kein Sondergesetz wie das „Partnerschaftsgesetz“ schafft (also eine „Ehe-light“ für Homosexuelle), statt die Ehe auch für homosexuelle Paare zu öffnen. Soweit ist es erst, wenn wir Kinder adoptieren dürfen. Soweit ist es erst, wenn die Selbstmordrate unter homosexuellen Jugendlichen nicht um ein Vielfaches höher ist, als bei heterosexuellen Jugendlichen. Soweit ist es erst, wenn wir nicht mehr Angst haben müssen, bei der Arbeit oder in der Schule diskriminiert zu werden! Soweit ist es erst, wenn Diskriminierung von LGBTs (Lesbian, Gay, Bisexuals, Trans) als genau gleich verwerflich angesehen wird, wie Rassismus und gesetzlich entsprechend geahndet wird. Soweit ist es erst, wenn die Verfolgung von Homosexuellen und Transmenschen als Asylgrund anerkannt wird (statt den Betroffenen zu raten sich in ihrem Heimatland halt nicht zu outen). Soweit ist es erst, wenn solche oder solche offene Briefe oder solche Blogs nicht mehr notwendig sind. Erst wenn jeder und jedem in diesem Land und auf der Welt bewusst wird, dass Heterosexualität nicht normaler, sondern häufiger ist, erst dann haben wir die vollständige Akzeptanz erreicht.

Es muss also noch einiges getan werden, bis eine Demonstration für unsere Rechte nicht mehr notwendig ist. Dabei sei daran erinnert, dass wir gerade in den letzten Wochen wieder schreckliche Bilder aus nicht allzu fernen Ländern gesehen haben, wo Prides verboten oder die Teilnehmenden attackiert wurden.  Aber selbst wenn die Demonstration für unsere Rechte irgendwann nicht mehr notwendig sein sollte, will ich diese Pride noch haben. Es geht bei der Pride nämlich nicht nur darum, für unsere Rechte zu demonstrieren, sondern auch darum, das Erreichte zu feiern. Wir können feiern, dass Homosexualität (zumindest bei uns) nicht mehr verboten ist. Wir können feiern, dass Homosexualität nicht mehr von der Weltgeshundheitsorganisation als Krankheit angesehen wird (als was sie bis 1992 galt). Und nicht zu vergessen der Ursprung der Pride (die ja eigentlich Christopher Steet Day heisst), als 1969 Homo- und Transmenschen sich in New York gegen Razzien und Verhaftungen durch die Polizei wehrten und sich deswegen tagelange Strassenschlachten mit der Polizei lieferten.

Zerstören die Paradiesvögel unseren Ruf?

Immer wieder hört man, dass die Bilder, die in den Medien über die Pride portiert werden, den „Ruf der Schwulen und Lesben zerstören.“ Immer wieder heisst es, dass die schrillen Drag Queens, die Transvestiten oder die halbnackt tanzenden Männer ein falsches Bild vermitteln und Vorurteile uns gegenüber zementieren würden. Nur schon dieser Gedankengang zeigt, wie wichtig die Pride ist. Wem und warum müssen wir irgendwas beweisen? Wie kommen wir dazu, das Gefühl zu haben, irgendetwas würde Vorurteile gegen uns rechtfertigen? Wie kommen wir dazu, uns nach irgendeinem Muster verhalten zu wollen, in der verzweifelten Hoffnung, dass wir dann gnädigerweise als das akzeptiert werden, was wir sind: genau gleichwertige Menschen wie Heterosexuelle. Egal wie die Leute aussehen oder wie ausgelassen sie tanzen, es darf nicht sein, dass sich irgendjemand darum sorgt, ob Vorurteile gegen uns zementiert werden. Denn Vorurteile sind inakzeptabel. Punkt. Egal ob sie sich gegen den „weiblichen Schwulen“, die „männliche Lesbe“, die „Federboas“ oder die „Paradiesvögel“ richten. Wir sind eine Community und gehören alle unter denselben Regenbogen. Ich will nicht akzeptiert werden, weil ich in Alltagskleidung rumlaufe. Wer mich akzeptiert, soll gefälligst einen Transmenschen oder eine Drag Queen genauso akzeptieren. Akzeptanz gibt es nicht in Sonderpackungen. Entweder man akzeptiert jedes einzelne Mitglied unserer Community oder niemanden. An dieser Stelle sollte vielleicht nochmals in Erinnerung gerufen werde, wie die Pride (also der Christopher Street Day) überhaupt entstanden ist: Es waren genau solche Transvestiten (die jetzt angeblich unseren Ruf zerstören sollen), die sich als erste der Schikane und den Razzien der Polizei widersetzten und an vorderster Front in tagelangen Strassenschlachten für unsere Rechte kämpften. Und überhaupt: Die Street Parade beispielsweise ist auch eine Parade für Liebe, Toleranz und Freiheit. Und auch da gibt es viele verkleidete Leute. Käme es jemals jemandem in den Sinn, zu befürchten, diese Leute würden den Ruf der Heteros zerstören?

Gay by Nature – Proud by Choice

Viel wurde erreicht, aber wir dürfen uns nicht zurücklehnen und einfach nur hoffen, dass weiterhin alles so bleiben wird. Es gibt religiöse Strömungen, die uns bekämpfen wann und wo sie können. Dies haben wir in den letzten Wochen eindrücklich am Beispiel des vermeintlich liberalen Frankreichs gesehen, wo Demonstrationen gegen die Öffnung der Ehe für homosexuelle Menschen zu massiven Ausschreitungen führten und zahlreiche Übergriffe an Schwulen und Lesben vorkamen. Diesen Strömungen müssen wir die Stirn bieten und der Gesellschaft zeigen, dass wir eine andere sexuelle Orientierung (oder Geschlechtsidentität) haben und trotzdem ein gleichwertiger Teil der Gesellschaft darstellen.

Daher lasst uns zeigen, dass wir stolz darauf sind, schwul oder lesbisch zu sein. Und zwar nicht stolz  auf die Tatsache, dass wir schwul oder lesbisch sind (für unsere sexuelle Orientierung können wir nichts, auch wenn ein paar Ewiggestrige das noch immer nicht begriffen haben), sondern stolz darauf, dass wir zu uns stehen können. Stolz darauf, dass wir uns unseren Platz in der Gesellschaft erkämpft haben, trotz massiver Gegenwehr und Hetze konservativer Ewiggestriger. Stolz darauf, dass wir mit unserer Sexualität zufrieden sein können und uns nicht mehr dafür schämen oder gar heilen lassen müssen (obwohl es noch immer religiöse Vereine gibt, die Heilungstherapien anbieten -auch in der Schweiz). Und alle Heterosexuelle, die am Samstag dabei sein werden, können ebenfalls mit Stolz zeigen, dass sie uns als vollständigen und gleichwertigen Teil der Gesellschaft akzeptieren.

Und an all jene, die uns verfluchen oder bemitleiden und uns entweder auf den Mond schiessen oder heilen wollen: Schaut genau hin. Wir sind viele, wir gehen auf die Strassen, wir feiern und wir kämpfen für unsere Rechte! Natürlich werdet ihr nicht aufgeben und weiterhin eure bestenfalls gut gemeinten Heilungsratschläge, schlimmstenfalls eure hasserfüllten Tiraden auf uns loslassen und gegen unsere Rechte kämpfen. Aber ihr werdet scheitern. Diskriminierungen sind ein Auslaufmodell, darum überdenkt doch nochmals eure Prioritäten.

In diesem Sinne: HAPPY PRIDE!

Das Programm der Pride kann hier abgerufen werden.

3 05, 2013

Asylgesetzrevision: Es trifft die Falschen

2019-02-18T10:04:44+01:003. Mai 2013|

„Missbrauch stoppen“ prangerte auf sämtlichen Plakatwänden der Schweiz, als das Stimmvolk 2006 über die vom damaligen Bundesrat Blocher aufgegleiste Revision des Asylgesetzes abstimmte. Bürgerliche Parteien sprachen angesichts der Verschärfungen davon, dass man gerade noch soweit gehen könne und diese Verschärfungen nötig wären, um den Missbrauch zu stoppen. Das Volk stimmte zu, wer will schon keinen Missbrauch stoppen?

Am 9. Juni 2013 stimmen wir erneut über Verschärfungen im Asylgesetz ab. Und wieder verspricht man, Missbrauch im Asylwesen stoppen zu können. Und wieder handelt es sich dabei um falsche Versprechen. Nur diesmal sind die Verschärfungen besonders perfid. Denn sie treffen gezielt richtige Flüchtlinge und besonders schutzbedürftige Personen, wie Frauen und Kinder. Konkrete Massnahmen gegen Missbrauch im Asylwesen findet man in der aktuellen Verschärfung kaum. Die Befürworter argumentieren denn auch damit, dass man die Schweiz einfach „unattraktiver“ für Asylsuchende machen wolle. Diese Aussage stimmt. Nur blendet sie aus, für wen die Schweiz unattrakiver werden soll: für echte Flüchtlinge!

Unnötige Panikmache

Es ist ein Fakt, dass die Asylgesuche nach den Revolutionen in Afrika und den andauernden Konflikten im Nahen Osten in die Höhe geschnellt sind. Viele der Asylgesuche werden von Wirtschaftsflüchtlingen gestellt, also von Menschen, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben in die Schweiz kommen. Diese haben keinen Anspruch auf Asyl. Und wenn mehr Wirtschaftsflüchtlinge in unser Land kommen und kein Asyl erhalten, steigt die Anzahl „Asylsuchender“ in der Kriminalitätsstatistik auch an (zurzeit bei 9%). Auch das ist längst bekannt (und in ganz Europa der Fall), wird durch die Verschärfungen in diesem Asylgesetz aber nicht verhindert.

Bei der ganzen Panikmache sollte aber etwas nicht vergessen werden: Die Schweiz wird nicht überschwemmt. Im Jahre 2012 wurden in der Schweiz 28’631 Asylgesuche gestellt. Dies ist mehr als in den Vorjahren, aber deutlich weniger Asylgesuche als in den Jahren 1998 (42’979) und 1999 (47’513). Die Zahl der Asylgesuche schwankt laufend, was ja auch völlig logisch ist. Entstehen grössere Konflikte, flüchten mehr Menschen. In politisch stabileren Zeiten, flüchten weniger Menschen. Das war immer so und wird immer so bleiben. Dabei darf auch nicht vergessen werden, dass 80% aller Menschen in Entwicklungsländer flüchten und beispielsweise im Libyenkonflikt nur 2% der Flüchtlinge nach Europa geflüchtet sind. Und 2012 machten Asylsuchende 0,5% der Schweizer Bevölkerung aus (Quellen: Factsteet von Amnesty International, siehe auch die Amnesty-Kampagne „Schluss mit Panikmache“).

Abschaffung Botschaftsasyl

Die gravierendste Verschärfung betrifft die Abschaffung des Botschaftsasyls. Bisher konnten Menschen auf Schweizer Botschaften ein „Asylgesuch“ stellen, wenn sie glaubhaft machen konnten, dass sie verfolgt wurden. Die Botschaft prüfte das Gesuch und erteilte nur eine Einreisebewilligung in die Schweiz, wenn die Gründe glaubhaft erschienen. In der Schweiz prüften die Behörden erneut, ob Asylgründe vorliegen. Von allen Menschen, die über diesen Weg in die Schweiz eingereist sind, durften 96% hier bleiben. Damit rettete die Schweiz in den letzten 30 Jahren 2’572 Menschenleben (mehr dazu unter diesem Link). Das Botschaftsverfahren erwies sich somit als ideal, um „echte“ von „unechten“ Flüchtlingen zu trennen und verfolgten Menschen Schutz zu gewähren. Nicht einmal der damalige Justizminister Blocher (der sich ja immer damit rühmt, überall die Schraube im Asylwesen angezogen zu haben) hat bei seinen Verschärfungen das Botschaftsasyl angetastet.

Der Bundesrat und seine Nachplappler behauptet zwar, der dafür geschaffene Ersatz, das „humanitäre Visum“ würde diesen Menschen weiterhin eine Möglichkeit bieten, via Botschaft in die Schweiz zu flüchten. Dies ist aber keinesfalls ein gleichwertiger Ersatz, zumal die Hürden wesentlich höher sind, dieses Visa noch seltener als das ohnehin schon seltene „Botschaftsgesuch“ gewährt wird und nur im Heimatland einer Person gestellt werden kann. Und dass dieses humanitäre Visa offenbar nicht einmal bei akut Bedrohten, wie z.B. einer syrischen Frau und ihren Kindern gewährt wird, sieht man bereits heute. Der Bundesrat und die Befürworter begründen die Abschaffung des Botschaftsverfahrens ja gerade damit, dass sie einen Ansturm auf Schweizer Botschaften im Ausland verhindern wollen. Würde das humanitäre Visum also einen gleichwertigen Ersatz wie das Botschaftsverfahren bieten, würde dieser Ansturm (der gar nicht besteht), weiterhin bestehen. Die Argumentation, das humanitäre Visum sei ein gleichwertiger Ersatz für verfolgte Menschen, ist darum nicht nur falsch, sondern auch völlig unlogisch.

Auch beim Botschaftsverfahren sollte man die Fakten betrachten: Seit 1980 wurden 46’369 Gesuche auf Schweizer Botschaften gestellt. In über 30 Jahren wurden also weltweit auf Schweizer Botschaften weniger Asylgesuche gestellt, wie in den in den letzten zwei Jahren in der Schweiz. Wer also davon spricht, dass die Botschaften überrannt werden, behauptet kompletten Unsinn.

Die Abschaffung des Botschaftsverfahrens verschliesst besonders schutzbedürftigen Personen wie Frauen und Kinder die Möglichkeit auf sicherem Weg zu flüchten. Man treibt sie somit geradezu in die Arme von gefährlichen Schleppern und setzt sie so der Gefahr von Vergewaltigung und Misshandlung aus. Die UNHCR (das Flüchtlingskommissariat der UNO) hat die Schweiz für diese Verschärfung heftig kritisiert. Die Einzigen, die sich ab diesem Entscheid freuen werden, sind die Schlepperbanden, deren grausames Businessmodell dank diesem Entscheid lukrativer geworden ist.

Eigentlich wäre diese Attacke auf besonders Schutzbedürftige also Grund genug, um Nein zu stimmen. Aber die Verschärfungen gehen weiter.

Unerwünschte Militärverweigerer

Das Asylgesetz sieht weiter vor, Militärdienstverweigerer grundsätzlich kein Asyl mehr zu gewähren. Diese Reglung betrifft vor allem Asylsuchende aus Eritrea. In Eritrea herrscht eine grausame Diktatur, die Frauen und Männer zu Militärdienst zwingt. Wer dies verweigert, wird oftmals gefoltert oder mit dem Tode bestraft. Aus diesem Grund haben Militärdienstverweigerer aus Eritrea in der Schweiz dann Chancen Asyl zu erhalten, wenn sie aufgrund dieser Weigerung verfolgt werden. Das Parlament und der Bundesrat geben sogar zu, dass diese Menschen auch in Zukunft auch nicht nach Eritrea zurück geschickt werden können und sich für die Betroffenen, kaum etwas ändere. Aha – dann hat man also eine sinnlose Verschärfung einfach so zum Spass ins Asylgesetz geschrieben? Nicht ganz – man erhofft sich so ein fatales Signal an verfolgte Menschen in Eritrea auszusenden: Dass sie als Flüchtlinge in der Schweiz nicht länger willkommen sind. Man weiss, was für grausame Zustände in Eritrea herrschen. Man weiss, mit welcher Willkür Menschen gefoltert und inhaftiert werden und dass Eritreer darum in der Schweiz gute Chancen auf Asyl hatten. Und dennoch sagt man: Euch wollen wir nicht, kommt also gar nicht erst her. Was soll das? Wer sowas befürwortet, hat entweder den ganzen Sinn und Zweck des Asylwesens nicht verstanden oder will bewusst gar keinen verfolgten Menschen mehr Schutz gewähren.

Bundeskompetenz für Asylzentren

Eine weitere Änderung des Asylgesetzes besteht darin, dass neu der Bund alleine darüber entscheiden kann, wo Asylzentren entstehen und zwar ohne Bewilligung des betroffenen Kantons oder der Gemeinde. Diese können sich nicht mehr dagegen wehren, wenn ein Asylzentrum bei ihnen errichtet wird. In der föderalistischen Schweiz, wo das Volk und die Gemeinden normalerweise mitbestimmen können, was bei ihnen geschieht, ist dies doch sehr merkwürdig. Merkwürdig ist vor allem, dass die SVP, die sonst den Widerstand gegen jedes Asylzentrum anführt, damit einverstanden ist. Die SVP, die die Volksrechte hoch hält und stets zu Protest gegen Asylzentren aufruft, unterstützt also gerade, dass die Bevölkerung keinen Einfluss mehr auf den Standort von Asylzentren nehmen kann? Es ist an Heuchelei nicht zu überbieten, wenn die SVP Stadt Zürich, sich darüber beklagt, dass „kein Referendum“ gegen dieses Zentrum möglich ist und zu Protesten ufruft, dem Volk aber genau die Möglichkeit genommen hat, um wirkungsvoll dagegen etwas unternehmen zu können (obwohl ich sicher bin, dass das Sadtzürcher Stimmvolk dem Zentrum zustimmen würde). Und auch wenn diese Kompetenzverschiebung nicht nur unsinnig ist, so zeigen erste Beispiele, dass sie wohl keine sehr gute Idee war. Beispiele wie jenes von  Bedretto, wo ein Asylzentrum unter Protest der Gemeinde in Zonen mit akuter Lawinengefahr geplant wird. Und auch wenn ich das Misstrauen gegen Asylsuchende nicht teile, so strapaziert man den Goodwill der Bevölkerung doch sehr, wenn man 120 Asylsuchende in eine Gemeinde mit 70 Einwohnern unterbringen will.

Nutzlose Verbesserungen

Weil die Befürworter wissen, dass diese Verschärfungen nicht zu erklären sind, verstecken sie sich hinter Verbesserungen, die mit dieser Asylgesetzverschärfung kommen sollen. So wird beteuert, dass der Rechtsschutz für Asylsuchende ausgebaut, Beschäftigungsprogramme geschaffen und die Verfahren beschleunigt würden. Nur: Verfahren kann man auch ohne diese radikalen Verschärfungen beschleunigen und die nächste Revision, die bereits ansteht, widmet sich ja gerade dieser Beschleunigung. Warum also nicht all die Verbesserungen da rein packen? Was nützt ein ausgebauter Rechtsschutz wenn gerade echte Flüchtlinge nicht mehr herkommen können? Was nützen ein paar Verbesserungen, wenn der Preis dafür massive Verschlechterungen sind, obwohl dies gar nicht nötig wär? Oder anders gefragt: Würde die SVP einem Gesetz zustimmen, das zwar 15 neue Kampfjets für die Schweiz vorsieht, gleichzeitig aber die Armee abschafft? Würde die FDP einem Gesetz zustimmen, welches das Bankgeheimnis verstärkt, gleichzeitig aber alle Banken zu einer einheitlichen Staatsbank verschmiltzt? Würde die CVP einem Gesetz zustimmen, das die Abschaffung der Heiratsstrafe vorsieht, gleichzeitig aber die maximale Anzahl erlaubter Ehen pro Jahr auf 10 beschränkt? Würden die Grünliberalen einem Gesetz zustimmen, welches die Mehrwertsteuer durch eine Energiesteuer ersetzt (wie sie es fordern), gleichzeitig aber 20 neue Atomkraftwerke vorsieht?

Der Schweiz unwürdig

Die Schweiz schmückt sich gerne mit ihrer „humanitären Tradition“. Ein Asylgesetz das auf echte Flüchtlinge zielt, hat aber nichts mehr mit humanitär zu tun. Ein Asylgesetz, das Frauen und Kinder grössten Gefahren aussetzt, hat nichts mehr mit humanitär zu tun. Ein Asylgesetz, das echten Flüchtlingen sagt, sie seien nicht erwünscht, hat nichts mehr mit humanitär zu tun. Mit diesem Asylgesetz wird kein einziger Missbrauch verhindert. Wenn uns die zahlreichen Asylgesetzverschärfungen etwas gelehrt haben, dann das: scharfe Asylgesetze führen nicht dazu, dass weniger Asylsuchende in unser Land wollen. Denn egal wie scharf unsere Gesetze sind, als wohlhabendes, politisch stabiles und neutrales Land wird die Schweiz immer attraktiv für Asylsuchende („echte“ und „unechte“) sein. Die Asylgesetzverschärfungen, über die wir am 9. Juni 2013 abstimmen müssen, führen also nur dazu, dass weniger wirklich verfolgte Menschen Schutz kriegen.

Die Gewinner dieses Asylgesetzes sind Diktatoren und Schlepper. Die Verlierer sind Menschen, die von Tod, Vergewaltigung und Folter bedroht sind.

Wer das nicht will, stimmt am 9. Juni 2013 Nein zu diesem verfehlten Asylgesetz. 

PS: An alle Zürcherinnen und Zürcher: macht mit bei der Kampagne 10’000 für Zürich.

PPS: An alle anderen: macht hier mit, um das Asylgesetz zu bekämpfen.

22 02, 2013

Eine Hommage ans T&M

2013-10-15T15:16:15+02:0022. Februar 2013|

Nur zu gut kann ich mich noch daran erinnern, wie ich das T&M das erste Mal betrat. Noch viel besser kann ich mich aber daran erinnern, wie ich als ungeouteter 19 jähriger mit zitternden Beinen ein paar Meter vom Clubeingang entfernt stand und wartete, bis niemand in der Nähe war, der hätte sehen können, wie ich diesen Club betrat. Meine Begleitung nervte sich bereits, als ich mich endlich dazu durchrang, durch die Eingangstüre des Clubs zu huschen.

Hier bin ich zu Hause

Mit weichen Knien lief ich die Treppen in den Club hoch, gab meine Jacke am Eingang ab und betrat das bereits relativ volle T&M. Die Musik dröhnte, aber mein Herzschlag pochte lauter in meinen Ohren. So viele Männer hatte ich in einem Club noch nie gesehen. Und dann erst noch alle schwul. In einer Selbstverständlichkeit tanzten da Männer zusammen, eng umschlungen, ausgelassen, küssend, fröhlich. Meine Angst verflog. Ich war zu Hause. Endlich Leute wie ich. Leute, die so sind wie ich innerlich seit ich denken kann war und es nie sein wollte, weil ich es als abnormal empfunden hatte. Schliesslich war mir das auch lange so eingetrichtert worden. Und da ich niemanden kannte, der auch so war wie ich, fast ausschliesslich negatives darüber gehört hatte und schwul ein gängiges Schimpfwort unter Jugendlichen gewesen war, konnte ich mir nicht vorstellen, dass es viele gibt, sie so abnormal wie ich sind. Und nun stand ich in diesem Club. Die Lichter flackerten, die Rauchmaschine tauchte die Tanzfläche in Nebel, die Leute sangen, tanzten, sprangen rum, kletterten auf ein paar Stufen, die mitten im Club als „Bühne“ diente, um ihre Tanzbewegungen vorzuführen. Gierig sogen meine Augen alles auf, während ich meine erste Runde durch den Club drehte, an den Sitzmögilchkeiten vorbei, durch die Toiletten, wo Männer auch in einer Selbstverständlichkeit die Frauentoiletten benutzten, was die wenigen Frauen nicht mal zu stören schien. Es war einfach alles wunderbar. Ein besseres Osterwochenende hätte ich mir nicht vorstellen können.

Apropos Ostern. Der Club war nach dem Motto „Kirche“ eingerichtet. Die Sitzmöglichkeiten waren wie Kirchenstühle dekoriert, über der Bar hingen nackte „Kens“ mit Engelsflügeln, die Wände waren mit christlichen Figuren wie der Jungfrau Maria bemalen. Ich verbrachte also diesen Abend an einem Osterwochenende mit küssenden Männern vor den Augen der Jungfrau Maria. IN YOUR FACE, schoss es mir durch den Kopf, während ich dabei an den ultrareligiösen Teil meiner Familie dachte.

Als ich danach den zweiten Stock betrat (den dazugehörenden Club „Aaaah“) mit der harten Elektromusik und der kleineren Tanzfläche, wurde mir etwas mulmig. Ein Gang führte nämlich von der Tanzfläche weg zu den brühmt berüchtigten Dark-Rooms. Also jene Räume, die dunkler waren und man sich verziehen konnte, um Sex zu haben. Ängstlich lief ich hinter meiner Begleitung durch diese abgedunkelten Gänge und spürte eine merkwürdige Mischung aus Faszination und Angst in mir hochsteigen (rückblickend lache ich heute noch über diese Angst). Gab es das wirklich? Auf den Fernsehern, die überall rum hingen, liefen nicht jugendfreie Filme und es hockten Männer rum, deren Blicke meine Nervosität ins Unermessliche steigen liess. Schnell verliessen wir die obere Etage wieder und verbrachten die Nacht im unteren Teil, also im T&M.

Ein Ort für alle

Ab diesem Zeitpunkt verbrachte ich im Verlaufe der Jahren viele witzige, ausgelassene, spannende, feuchtfröhliche Nächte im T&M.

Die Dekoration änderte sich mit der Zeit (vom Thema Kirche zum Thema Sport zum Thema Zukunft zum Thema Aliens zum Thema Disco), mit der Zeit kannte man die meisten Leute, obwohl auch immer wieder neue Leute dazu stiessen. Mal verbrachten wir jedes Wochenende in diesem Club, mal mieden wir ihn wochenlang. Aber wir kehrten immer wieder zurück. Die ausgelassensten Partys, interessante Bekanntschaften oder auch Ablenkungen, wenn man niedergeschlagen war, das T&M war für alles die beste Adresse.

Nirgends trafen alle Angehörigen der schwullesbischtransgender Community so zusammen wie im T&M. Ob die jungen Schwulen, die Dragqueens, die shirtlosen Muskelmänner, die Hip Hopper, die Skater, die (selbsternannten) Models, die Hipster, etc. etc., alle verkehrten im T&M. Jede Farbe des berühmten Regenbogens fand sich im T&M wieder. Auch jene, die es niemals zugeben würden.

Vielleicht lag es gerade am Punkt, dass das T&M jedes Publikum anzog und lange bestand, aber das Lästern über diesen Club verkam teilweise geradezu zum schwullesbischen Volkssport. Niemals würde man ins T&M gehen, der Club sei doch total trashig, die Leute nervig, die Musik schlecht, an allem hatte man etwas auszusetzen, nur cool finden, das konnte man das T&M (aus mir bis heute unerfindlichen Gründen) nicht. Und wenn man dann genau jene Leute, die sich am lautesten das Maul über den Club zerrissen, tanzend auf der Tanzfläche des T&Ms wieder traf, kriegte man mässig originelle Ausreden zu hören („ich wurde von meinen Freunden hergeschleppt, bin sonst nie da“ die häufigste aller schlechten Erklärungen), für die man eigentlich gar nicht gefragt hätte.

Die Dark-Room Kontroverse

Zwischendurch flackerten künstliche, völlig überflüssige Skandale auf, wie die Diskussion darüber, ob man Dark-Rooms in einer Disco verbieten muss. Politiker und Politikerinnen, die noch nie einen Fuss ins T&M gesetzt hatten und unter Ausgang wahrscheinlich einen (durch Ohropax geschützten) Besuch in der Oper verstehen, liessen sich in Medien zitieren, dass „Sex nicht in eine Gaststube gehöre“, fromme Mitbürgerinnen und Mitbürger überboten sich mit Horrorstorys, was in diesen Dark-Rooms alles passiere, während man den Moralfinger hob und davon sprach, dass dies sofort gestoppt werden müsse. Glücklicherweise haben sich die verkorksten Moralvorstellungen nicht durchgesetzt. Ich kann mich nicht mehr erinnern, weswegen diese Diskussion überhaupt aufgeflackert war, aber ich weiss noch zu genau, wie tierisch sie mich nervten. Man muss kein Dark-Room Gänger sein, um strikte gegen ein Dark-Room-Verbot zu sein. Wenn volljährige Männer in Dark-Rooms Sex haben wollen bis die dafür konzipierten Räume wackeln, hat das niemanden, aber absolut gar niemanden zu interessieren. Niemand wird gezwungen, dabei zuzuschauen geschweige denn sich in diese Dark-Rooms zu begeben. Insofern gibt es kein einziges Argument, das ein Verbot von Dark-Rooms rechtfertigen würde – im Gegenteil. An den Wänden dieser Dark-Room-Gänge prangern in leuchtender Schrift Warnungen vor Geschlechtskrankheiten und Hinweise zu Verhütungsmitteln, die da auch gratis zur Verfügung standen, womit Krankheitsrisiken an diesen Orten kleiner sind, wie bei jenen heterosexuellen Menschen, die sich nach feuchtfröhlichen Discobesuchen ohne Verhütung auf Toiletten, Rücksitze von Autos oder sonstige Orte ausserhalb der eigenen vier Wände verziehen (was heutzutage, oh Schock, einer Realität in unserer Gesellschaft entspricht). Ob man Dark-Rooms nun besucht oder nicht, sie waren Teil des T&Ms und ich bin stolz darauf, dass die Besitzer sich von keinen Moralaposteln aus der Politik einschüchtern lassen haben und diese umstrittene Räume bis heute noch zum festen Inventar des T&Ms gehören.

Unverständlicher Hass

Sämtliche heterosexuellen Freundinnen und Freunde von mir, die noch nie einen Gay-Club von innen gesehen hatten und ein- (oder mehrmals) mit ins T&M kamen, waren vom Club sehr positiv überrascht, von der Stimmung begeistert und vom Angebot einer Dark-Room-Zone fasziniert. Keine Pöbelein, keine Schlägereien, keine aggressive Stimmung, wie dies in heterosexuellen Clubs teilweise der Fall ist. Der einzige Streit, den man im T&M zwischen den Leuten mitbekam, waren Fragen wie, ob jetzt Kylie oder Madonna, Britney oder Christina besser sind und die einzigen Konkurrenzkämpfe, die zu beobachten waren, bestanden darin, wer die besseren Tanzmoves auf der Treppe/Bühne drauf hatte.

Oft ertappte ich mich dabei, wie mein Blick durch die tanzenden, singenden, lachenden Gesichter des T&Ms Publikums schweifte und ich mich dabei fragte, wie es überhaupt möglich sein konnte, dass Menschen wie wir aufgrund unserer sexuellen Orientierung diskriminiert oder abgewertet werden. Worin um alles in der Welt besteht die Gefahr, die all die Homophoben da draussen in uns sehen? Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass küssende oder händchen-haltende Männer ausserhalb von Orten, wie es das T&M einer ist, Angst haben müssen, aufgrund ihrer Gefühle angepöbelt zu werden? Selbstverständlich gibt es auch unter Schwulen Menschen, die man unsympathisch findet, mit denen man schlechte Erlebnisse gemacht hat, die man nicht ausstehen kann. Aber jedes Mal, wenn mein Blick in diesen Momenten über das ausgelassene Publikum in einem T&M schweifte, schwor ich mir aufs Neue, den Kampf für eine vollständige Akzeptanz von Homo-, Bi- und Transsexuellen zu meinem politischen Hauptziel zu machen, für das ich unermüdlich kämpfen werde. Jedes mal schöpfte ich erneut Kraft, um auch dann unbeirrt und entschlossen zu bleiben, wenn man augenrollend wieder fragt „ihr habt ja vieles erreicht, was wollt ihr denn jetzt schon wieder?“ Und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dies politisch oder taktisch klug ist, aufgrund der Gefahr nur auf „Schwulenpolitik reduziert“ zu werden, wovor man mich immer wieder warnt.

Ein Verlust für die Schweiz

Nun schliesst das T&M. Für immer. Damit geht nicht nur die historische Ära eines Gay-Clubs zu Ende, sondern auch ein grosses Stück Heimats- oder gar Zufluchtsort für Schwule jeden Alters aus der ganzen Schweiz. Junge Schwule, die zum ersten Mal erleben, dass sie nicht alleine auf dieser Welt sind, denen angesichts all der tanzenden, fröhlichen Menschen um sie rum bewusst wird, dass es okay ist, schwul zu sein und dass es nichts, aber auch gar nichts dran gibt, für das sie sich zu schämen brauchen. Als ich das T&M das erste Mal betrat, zitterten meine Beine und ich hatte Panik davor, dass mich jemand den Club betreten oder verlassen sehen würde. Heute bin ich stolz darauf, in der Öffentlichkeit für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transmenschen kämpfen zu können. Und auch das T&M hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen. Darum ist es auch kreuzfalsch zu meinen, dass es im Jahre 2013 keinen „Schwulenclub“ mehr in Zürich braucht. Im Gegenteil, Schwulenclubs wird es immer geben müssen. Denn auch wenn die Akzeptanz Homo-, Bi- und Transsexueller zunehmend besser wird, wird es immer Orte geben, an die wir uns „zurückziehen“ können, wo wir nicht befürchten müssen, aufgrund unserer angeborenen sexuellen Orientierung angepöbelt zu werden, wo wir wissen, wir sind unter Gleichgesinnten und schlicht, wo wir einfach sein können, wer wir sind! Es ist daher richtig, wichtig und darum sehr erfreulich, dass ab März mit dem „Heaven of T&M“ ein neuer Club eröffnet wird, der für all diese Dinge steht. Und wenn noch ein zweiter solcher Club entstehen sollte (was gemäss Gerüchten in Planung ist), ist dies ebenfalls zu begrüssen.

Das T&M wird in die (Schwulen)Geschichte Zürichs eingehen und für immer einen wichtigen und positiven Platz in der Erinnerung unzähliger Schwulen behalten, für die das T&M viel mehr, als einfach eine Disco war.

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