20 06, 2012

Wir wollen die ganze Salami*

2013-10-17T22:35:59+02:0020. Juni 2012|

Spätestens seit der Ständerat einer Motion knapp zugestimmt hat, die das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare fordert, ist das Thema in aller Munde. Der Nationalrat wird die Motion wahrscheinlich im Sommer behandeln.

Ehe zweiter Klasse

Leider müssen wir erneut zuschauen, wie unsere Rechte zum Spiel von Kompromissen werden. Bereits beim Partnerschaftsgesetz sind wir Kompromisse eingegangen. Während die LGBTs in den USA pausenlos für eine Anerkennung der vollwertigen Ehe kämpfen und die US-Versionen des Partnerschaftsgesetzes (Civil Union) als Ehe zweiter Klasse ablehnen, war die Community in der Schweiz euphorisch, endlich einmal so etwas Ähnliches wie eine Ehe erreicht zu haben. Auch damals lautete das Motto „besser als gar nichts“, was zu diesem Zeitpunkt wohl richtig war. Richtig darum, weil es um existentielle Rechte ging. Rechte, wie den Partner im Spital besuchen zu dürfen oder erbberechtigt zu sein, wenn der Lebenspartner stirbt. Kann es aber richtig sein, eine Ehe zweiter Klasse zu haben? Ist es richtig, auf Steuerformularen zwischen „verwitwet“ und „durch Tod aufgelöste Partnerschaft“ unterscheiden zu müssen? Ich persönlich habe es satt, zu einem Menschen zweiter Klasse degradiert zu werden. Man kann es als symbolische Finessen abtun, aber solche Unterscheidungen sind wesentlich mehr als leere Begriffe! Ein Schwuler, dessen Partner stirbt, ist ein Witwer und kein „durch Tod aufgelöste Partnerschaft“ Alleinstehender! Die CVP setzt noch einen drauf und sammelt Unterschriften gegen die steuerliche Doppelbelastung von verheirateten Paaren. Wer die Initiative genau liest, stellt aber fest, dass die CVP den Satz, dass eine Ehe zwischen Mann und Frau besteht, in die Verfassung schreiben will. Auch da blieb der Aufschrei in der Community aus. Wir haben ja schliesslich das Partnerschaftsgesetz, nicht wahr?!

Fauler Kompromiss?

Dieselbe Gefahr droht nun den Adoptionsrechten für homosexuelle Paare. Im Nationalrat ist eine Motion hängig, die nur die Stiefkindadoption für homosexuelle Paare fordert. Die Motion ist vor ein paar Jahren von Mario Fehr eingereicht und nach seinem Rücktritt von Chantal Galladé (die bereits beim Partnerschaftsgesetz für volle Adoptionsrechte gestimmt hat) übernommen worden. Zweifellos war die Motion damals gut gemeint in einer Zeit, als noch nicht damit zu rechnen war, dass volle Adoptionsrechte mehrheitsfähig wären. Vor ein paar Monaten hat aber eine bessere Motion eine Mehrheit im Ständerat gefunden. Eine von Ständerat Claude Janiak ausgearbeitete Motion, die das Kindswohl ins Zentrum und die Stiefkindadoption in den Vordergrund stellt, aber dennoch vollständige Adoptionsrechte verlangt. Janiak ist zweifellos ein exzellenter Ständerat. Die Community hat ihm viel zu verdanken. Bei allem Verständnis für politischen Realismus ist es dennoch schade, dass Janiak in der April-Ausgabe der Mannschaft von Beginn weg dem Nationalrat empfiehlt, die Motion so abzuändern, dass nur die Stiefkindadoption darin vorkommt. Er begründet dies damit, dass eine spätere Gesetzesvorlage sonst keine Mehrheit im Parlament findet. Dies mag vielleicht stimmen, aber Gesetzesvorlagen des Bundesrates können im Parlament noch immer abgeändert werden. Es ist also nicht nötig, den Bürgerlichen schon zum Vornherein die Chance zu geben, ein wenig für und ein wenig gegen uns zu stimmen! Statt klare Bekenntnisse der Bürgerlichen zu verlangen, bieten wir ihnen die Möglichkeit, für Adoptionsrechte „light“ zu stimmen. Die Bürgerlichen haben so die Möglichkeit, sich als LGBT-freundlich zu geben, im Wissen darum, dass wir durchaus eine interessante Wählergruppe darstellen. Nationalrätinnen wie Doris Fiala, die gegen Adoptionsrechte für homosexuelle Paare sind, können somit einem Kompromiss zustimmen und dies später als Beweis ihrer LGBT-Sympathie vorweisen. Und wir würden uns damit zufrieden geben. Aber ernsthaft, hätten sich die Frauen zufrieden gegeben, wenn man das Stimmrecht nur verheirateten Frauen gewährt hätte?

Steilpass für die Bürgerlichen

Selbstverständlich steht bei der Adoptionsfrage das Kindswohl im Vordergrund. Es gibt kein Recht auf Kinder. Ebensowenig darf es aber sein, fähigen Menschen, die sämtliche Kriterien erfüllen, nur aufgrund ihres Zivilstandes Kinder zu verbieten. Wenn wir in den nächsten Jahren die Stiefkindadoption einführen, dürften wir wohl jahrelang auf vollständige Adoptionsrechte warten. Schliesslich würde es immer heissen, wir hätten ja die Stiefkindadoption und sollen uns damit zufrieden geben. Mir graut vor einem Abstimmungskampf, in welchem die Gegner warnen, die Stiefkindadoption sei nur eine Salamitaktik, um das volle Adoptionsrecht zu fordern. Was dann? Streiten wir das ab oder bestätigen wir es? Warum nicht gleich um vollständige Adoptionsrechte kämpfen? Wir haben den Bürgerlichen diese Option nun aber bereits angeboten. Und da es bei dieser Frage um die Situation von Kindern geht, die heute bereits bei homosexuellen Elternpaaren in einer rechtlich unsicheren Lage leben, ist die Stiefkindadoption, einmal mehr, besser als nichts.

Schluss mit Salamitaktik

Ein Umdenken muss dennoch stattfinden. Politik ist ein Spiel von Kompromissen, Verhandlungen und gegenseitigen Zugeständnissen. Wir müssen uns aber erheben und klar und deutlich zeigen, dass unsere Rechte und die unserer Kinder nicht verhandelbar sind! Zu lange sind wir Kompromisse eingegangen, nur weil uns eine Mehrheit der Politik zu Menschen zweiter Klasse degradiert hat.  Diese Zeiten sind definitiv vorbei! Unsere Botschaft muss klipp und klar sein.  Es wird Zeit, dass jede Politikerin und jeder Politiker in diesem Land Farbe bekennt. Keine Kompromisse, keine Salamitaktik, kein Süssholzraspeln. Entweder man gewährt uns jene Rechte, die uns schon immer hätten gewährt werden sollen, oder nicht! Wir wollen keine Salamitaktiken mehr, wir wollen den ganzen Salami!

*Artikel als Politkommentar im Mannschaft-Magazin (Ausgabe Juni 2012) erschienen.

18 02, 2012

Ein offener Brief an die Cablecom

2013-10-10T15:25:34+02:0018. Februar 2012|

Liebe Cablecom

Seit 2010 wartet der Jugend-Tv-Sender Joiz darauf, von euch ins analoge Fernsehnetz aufgenommen zu werden.

Das Bundesamt für Kommunikation hat euch im November 2010 beauftragt, den Sender in euer analoges Fernsehnetz aufzunehmen. Dagegen sträubt ihr euch standhaft und kämpft auf dem juristischen Weg dagegen an. Obwohl ihr bei den ersten beiden Instanzen krachende Niederlagen erlitten habt, seid ihr bis vor Bundesgericht gezogen, wo der Fall noch hängig ist und weswegen Joiz noch immer nicht übers anaolge Fernsehnetz gesendet wird.

Trotz euren zahlreichen Begründungen warum ihr euch so standhaft sträubt, kann ich es noch immer nicht nachvollziehen. Ihr behauptet, dass aufgrund der begrenzten Kapazität bei Aufnahme von Joiz ein bestehender TV Sender aus dem Programm gekippt werden müsste, wie beispielsweise der Bayrische Rundfunk oder der Südwestrundfunk. Jesses! Der Bayrische Rundfunk müsste in der Schweiz aus dem analogen Netz gekippt werden! Das wäre nun wirklich eine Tragödie von riesigem Ausmass! Die analogen TV-Zuschauer der Schweiz müssten ab sofort auf Sendungen wie „Dahoam ist Dahoam“, „Sterneköche in Bayern“ oder gar „Glockenläuten aus Tüentenhausen bei Freising“ verzichten. Und das alles wegen einem Jugendsender, von denen ja bereits massenhaft existieren, nicht wahr?

Rumgeblödel ohne Mehrwert?
Laut diversen Medienberichten wollt ihr Joiz aber auch nicht aufschalten, weil ihr das Programm als ein „Rumgeblödel“ bezeichnet, aus dem „weder ein kultureller noch gesellschaftlicher Mehrwert geschaffen werden“ könne und ihr euch ab Begriffen wie „Heisser Scheiss“ empört. Soso, interessant. Selbstverständlich würde ich es nie anzweifeln, den kulturellen Mehrwert für unser Land von Sendungen wie „Dahoam ist Dahoam“ oder „Glockenläuten aus Tüntenhausen bis Freising“ anzweifeln.  Zugegeben, ich habe diese Sendungen noch nie gesehen und musste das Programm des Bayrischen Rundfunkes googlen. Deswegen schalte man einmal an einem beliebigen Tag den Fernseher an und schaue sich das Programm an, das da auf unbestrittenen und erfolgreichen Sendern läuft. In diversen Sendungen, die als „real“ verkauft werden, können wir hochqualifizierte Schauspieler dabei beobachten, wie sie sich mit äusserst realen Alltagsproblemen rumschlagen. Da gesteht eine korpulente Dame mittleren Alters, dass sie oftmals solchen Hunger hat, dass sie auch schon mal Klopapier isst (so viel zum Thema Heisser Scheiss). Eine vierzehnfache Mutter sagt, sie sei zu blöd die Pille zu nehmen und zu faul, Kondome zu kaufen und ihr arbeitsloser Mann nervt sich, dass er nicht so lange ausschlafen kann, wie er denn gerne möchte. Ein Mann will seine Liebste um Verzeihung bitten und bereitet ihr Leibgericht (Spaghetti an einer Dosen-Sauce) vor – indem er ein Planschbecken mit Spaghetti füllt, sich rein legt und sie zu sich zum Bade-Ess-Spass einladet. Also zappen wir zum nächsten Sender, wo eine Moderatorin zwei Talk-Gäste vor johlendem Publikum mit Resultaten von Lügendetektor- oder Vaterschaftstests konfrontiert. Zappen wir weiter, wo zwei Frauen ihre Familien für eine Zeit tauschen und sich dabei filmen lassen, wobei der Familienvater einer dieser Frauen erklärt, dass er für die Reinigung seines Hinterns nach dem Toilettengang nur ein einziges Blatt Toilettenpapier benötigt, da er seinen Hintern mit dem Finger reinigt und das einzelne Blatt Toilettenpapier nur dazu braucht, um „die Scheisse von meinem Finger und meinem Fingernagel zu reinigen“ (das Thema „Heisser Scheiss“ lässt uns offenbar nicht los). Wenn wir genug von diesem gesellschaftlich unverzichtbaren Mehrwert haben, wollen wir uns also von kulturellen Programm berieseln lassen und zappen zu Musiksendern. Leider wird auf diesen  Musiksendern kaum mehr Musik gespielt sondern prügelnde und kreischende Teenie Mütter bei ihren Alltagsproblemen gezeigt. Dazwischen ermuntern coole Werbespots die jugendlichen Zuschauer per SMS viel zu teure Spiele und Klingeltöne auf ihre Handys runterzuladen, was dann dazu führt, dass man zwei Sender weiter eine ganze Sendung über verschuldete Jugendliche ansehen kann, die doch nur den Klingelton ihres Lieblingssängers runterladen wollten. Wohlbemerkt: Wir reden hier vom Nachmittags- und Abendprogramm. Nicht erwähnt ist das Nachtprogramm, also all die Abzock-Shows, wo man sich telefonisch zuschalten kann und irgendwelche als Hellseher getarnte Clowns für 5 Franken pro Minute telefonische Lebensweisheiten wie „ich sehe, dass etwas auf dich zukommt“ oder „in unserem heutigen Abendritual denken wir fest an dich“ den Zuschauern auf ihren wahrscheinlich bald verschuldeten Lebensweg mitgeben. Oder die Quizshows, in denen man telefonisch „ganz einfach“ mitmachen kann, die aber oftmals ungmöglich zu lösen sind.  Ganz zu schweigen von den „heissen Girls“, die ab Mitternacht  „auf deinen Anruf warten“.

Also vergleichen wir das Programm einmal mit Joiz. Reality Shows? Telefon- oder Internetsexwerbungen? Klingelton- bzw. Schuldenfallewerbungen? Hellsehershows? Quizshows die man gar nicht gewinnen kann, dafür aber umso mehr zahlt? Ah Moment, da haben wir doch was! Auch bei Joiz können sich die Zuschauer dazu schalten – dies aber völlig gratis und über das Internet, um direkt ihre Meinung in Sendungen einzubringen. Interaktion nennt man das, liebe Cablecom. Dahinter steht ein „crossmediales“ Konzept, also Fernsehen mit Internet und sozialen Medien zu verbinden. Etwas, was es so noch auf keinem Sender in der Schweiz gibt.
Im Gegenteil, ich sehe auf Joiz von jungen Menschen auf junge Menschen zugeschnittene Sendungen, die aber einiges an höherem Niveau zu bieten hat, als die erwähnten Sendungen der unverzichtbaren Sendern. Es werden die neusten Musikvideos gesendet, auf die Interessen Jugendlicher zugeschnittene News ausgestrahlt und in diversen Formaten über Dinge diskutiert, die Jugendliche beschäftigen, sei dies über das Thema Sexualität, Internetsucht, Mobbing, Gewalt im Sport, etc. Und es existieren sogar Kochsendungen. Auch die sind auf Junge zugeschnitten, indem man Rezepte präsentiert, die ihnen schmecken und auch gesund sind.
Mit dem Format „Politbattle“ (das zusammen mit der politisch breit bekannten Internetplattform politnetz.ch ins Leben gerufen wurde) werden Jugendliche sogar über politische Themen aufgeklärt, über Abstimmungsvorlagen informiert und zu Partizipation aufgerufen. Die Zuschauer können auch in dieser Sendung ihre Fragen per Internet live stellen und erhalten somit Antwort auf politische Fragen, die sie als brennend empfinden (was ich als junger Politiker äusserst wichtig finde). Von der Qualität, verbunden mit enormen Zeitaufwand und Herzblut, welches das junge Joiz-Team in diese Programme setzt, konnte ich mich bereits mehrmals persönlich vor Ort überzeugen! Nicht zuletzt aus diesen Gründen wurde Joiz am diesjährigen Swiss ICT Award mit dem Publikums- und Newcomerpreis ausgezeichnet.

Und ihr habt tatsächlich die Nerven, Joiz als „Rumgeblödel ohne kulturellen oder gesellschaftlichen Mehrwert“ zu bezeichnen?! Umso lächerlicher wird dieses Argument, wenn man bedenkt, dass ihr Joiz in eurem digitalen Netz anbietet. Wenn Zuschauer also für euer Programm zahlen, dann wollt ihr ihnen dieses „Rumgeblödel“ nicht vorenthalten?!
So als Randbemerkung: Sogar die NZZ hat kürzlich einen ganzsseitigen Bericht über Joiz abgedruckt – mit der Überschrift „Heisseste Scheisse“ (konsequenterweise müsstet ihr die NZZ also auch als Rumgeblödel ohne kulturellen oder gesellschaftlichen Mehrwert bezeichnen).

Markt Vs. Staat?

Vielleicht habt ihr auch die Lächerlichkeit dieses Arguments erkannt, weswegen ihr jetzt noch versucht, die Marktfundamentalisten zu eurer Unterstützung zu rufen und dies als Kampf eines Unternehmens gegen den bevormundenden Staat empor stillisiert. Auch das ist verfehlt, liebe Cablecom. Artikel 60 Absatz 1 Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) erlaubt es der Bakom die Aufnahme eines Senders zu verpflichten, wenn dieser besondere verfassungsrechtliche Aufträge erfüllt. Der verfassungsrechtliche Auftrag besteht darin, einen Beitrag zur kulturellen Entfaltung, freier Meinungsbildung und Unterhaltung zu leisten. Da gemäss Aussagen des Bundesrates die durchschnittlichen Zuschauer des Schweizer Fernsehens zwischen 45 und 60 Jahre alt sind, der Leistungsauftrag aber für Menschen jeden Alters gilt, hat das Bakom entschieden, euch zu verpflichten Joiz aufzuschalten. Als das RTVG (mit diesem Art. 60 Abs. 1) vom Parlament fertig beraten wurde, habt ihr nicht dagegen gekämpft. Die Möglichkeit des Staates, euch irgendwann einmal zu verpflichten einen Sender aufzunehmen, hat euch also damals nicht gross gestört. Jetzt, wo der Gegner aber plötzlich ein Jugendsender und kein Schweizer Parlament ist, merkt ihr, dass ihr mir diesem Artikel doch nicht ganz einverstanden seid? Ihr seid in dieser Geschichte als nicht David, der gegen Goliath antritt. Es ist eher umgekehrt, ihr seid der Goliath, der gegen den Jugendsender David antritt und ihn mit zermürbenden und langwierigen juristischen Mitteln bekämpft.

Apropos freier Markt, die Tatsache, dass ihr Joiz nur gegen Bezahlung anbietet (also über euer digitales, kostenpflichtiges Netz), dafür aber den Bayrischen Rundfunk behalten wollt, riecht verdächtigt nach finanziellen Motiven. Könntet ihr vielleicht darauf spekulieren, dass die Zuschauer in der Schweiz eher für Joiz als für den Bayrischen Rundfunk bezahlen würden? Ein Schelm, wer Böses denkt!

Lasst den Scheiss!
Man kann es drehen und wenden, wie man möchte: eure Argumentation gegen Joiz verfängt nicht. Sei es aus Abneigung gegen das Programm, aus Ablehnung gegen den bevormundenden Staat, aus finanziellen Interessen oder gar aus inniger Liebe zum Bayrischen Rundfunk: Es gibt keinen Grund Joiz nicht über euer analoges Netz anzubieten. Es ist mir bewusst, dass ein Rückzug eurer Beschwerde beim Bundesgericht in diesem Verfahrensstadium nicht mehr realistisch ist. Trotzdem appelliere ich an euch: egal wie das Urteil ausfällt, schaltet Joiz auf! Hört auf Joiz und die Jugend unseres Landes zu bekämpfen! Oder um es in der Sprache der Jugend auszudrücken: Lasst den Scheiss!

Beste Grüsse

Alan David Sangines

27 10, 2011

Ein offener Brief an Christian Wasserfallen

2013-10-17T22:25:25+02:0027. Oktober 2011|

Sehr geehrter Herr Nationalrat Wasserfallen

Vor ein paar Wochen hat das „Mannschaft Magazin“ Ihnen einen offenen Brief geschickt, in welchem es Ihnen sein Bedauern zu Ihrem Abstimmungsverhalten bezüglich der Petition, die Adoptionsrechte für homosexuelle Paare fordert, mitgeteilt hat. Auf diesen Brief haben Sie folgendermassen geantwortet:

„Danke für Ihre Stellungnahme. Ich gebe es offen zu, dass ich zwar in wirtschaftlichen Belangen liberal bin, das aber bei gesellschaftlichen Fragen nicht so ist. Ich bin nicht überzeugt davon, dass gleichgeschlechtliche Paare auch Eltern sein sollen. Das entspricht nicht meinen persönlichen Grundhaltungen. Diese Diskussion ist denn auch gar nicht rein argumentativ zu führen sondern basiert halt wirklich auf individuellen Grundwerten. In der Politik gibt es auch die Situation, wo man einmal verliert und ein anderes Mal gewinnt. Danke für Ihre Kenntnisnahme.“

Quelle: Mannschaft Magazin

Bitte erlauben Sie mir ein paar Bemerkungen dazu. Es ist bereits schlimm genug, dass die Mehrheit der Nationalrätinnen und Nationalräte der angeblich liberalen FDP gegen die Aufhebung des Adoptionsverbotes für homosexuelle Paare gestimmt haben. Ihre Antwort ist aber nicht nur als liberaler Sicht erschütternd.

Immerhin haben Sie zugegeben, dass Sie nur in wirtschaftlichen Belangen liberal sind, nicht aber in gesellschaftlichen. Mich wundert das zwar, weil die FDP sich immer gerne als die liberalste Partei der Schweiz darstellt, aber im Falle dass Sie an Ihrer Position festhalten, bin ich mir sicher, dass Sie dafür sorgen werden, dass die FDP von nun an nicht als „FDP – die Liberalen“, sondern als „FDP – die wirtschaftsliberalen Konservativen“ auftreten wird.

Nun aber zur Kernaussage Ihres Schreibens. Sie sagen, dass Sie gegen die Aufhebung eines Verbotes sind, dies aber argumentativ nicht begründen können?! Sie, als Nationalrat einer Partei, die sich immer gegen Verbote stellt und für möglichst wenig Einmischung des Staates gegenüber dem Volk ist („mehr Freiheit, weniger Staat“ stammt doch von Ihrer Partei), wollen also ein staatliches Verbot aufrecht erhalten, obwohl Sie nicht mal Argumente dafür haben und sich einzig auf eine „persönliche Grundhaltung“ stützen? Sie rechtfertigen aber nicht nur ein Verbot, sondern eine offensichtliche Diskriminierung und eine stossende Rechtsungleichheit mit Ihren „individuellen Grundwerten“? Eine solche Haltung könnte man vielleicht von kleinen Kindern oder fundamentalistischen Christen erwarten, aber nicht von einem gewählten Nationalrat, der als einer seiner politischen Schwerpunkte die Stärkung der Bildung nennt. Dies macht die Sache umso schlimmer. Wären wir hier in einem Strafrechtsprozess könnte man beim fundamentalistischen Christen noch von einer gewissen Unzurechnungsfähigkeit sprechen. Bei Ihnen hingegen müsste man von einer Absicht und vollen Schuldfähigkeit ausgehen!

Da Sie ja keine Argumente (bis auf Ihre Grundhaltung, was eben kein Argument ist), zu haben scheinen, hier ein paar Fakten, die sich vielleicht doch auf Ihre Grundhaltung auswirken dürften:

  • In acht Ländern Europas ist es homosexuellen Paaren erlaubt, Kinder zu adoptieren. Dazu gehören sowohl das katholisch geprägte Spanien, als auch die fortschrittlichen skandinavischen Länder (gemäss Ihrer Website immerhin Ihre Lieblingsferiendestination). Die Hälfte der amerikanischen Bundesstaaten erlauben homosexuellen Paaren die Adoption ebenfalls. Bemerkenswert dabei ist besonders, dass die Adoption sogar in ultra konservativen Staaten wie Tennessee oder Alaska erlaubt ist. Sogar also in jenen Staaten, in welchen die Konservativen erbittert gegen die Homoehe kämpfen, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Homosexuelle gute Eltern sein können.
  • Weitere Länder, die das volle Adoptionsrecht kennen, sind unter anderem die ebenfalls eher konservativen Länder Argentinien, Uruguay und Brasilien.
  • Dazu kommen zahlreiche Länder, welche die Stiefkindadoption kennen.
  • Die Frage, wie Kinder bei homosexuellen Eltern aufwachsen, ist in unzähligen Studien bereits untersucht worden. Die wohl bekannteste Studie ist die 2009 veröffentlichte Studie der Universität Bamberg, die belegt, dass Kinder von homosexuellen Eltern gleich gut wie bei heterosexuellen Eltern aufwachsen. Sämtliche Studien, die auf diesem Bereich durchgeführt wurden, kamen zum selben Schluss.  Die Forschung, deren Förderung Sie ja als eines Ihrer politischen Schwerpunkte genannt haben, ist hier also einer Meinung.
  • In der Schweiz leben heute schätzungsweise 6’000 – 30’000 Kindern bei homosexuellen Paaren. Diese Kinder leben heute in einer völlig rechtsfreien Situation. Mindestens ein Elternteil braucht immer eine Vollmacht, wenn er oder sie die Kinder aus der Krippe abholen, zum Arzt bringen oder an Elterngesprächen teilnehmen wollen. Stirbt der leibliche Elternteil kann das Kind seinem anderen Elternteil weggenommen werden, stirbt der andere Elternteil, hat das Kind keinerlei Erbrechte. Dies führt also dazu, dass Kinder die Leidtragenden sind.
  • Wenn ich als homosexueller, aber alleinstehender Mann ein Kind adoptieren will, kann ich das. Sobald ich mit meinem Partner aber ein Kind adoptieren will, kann ich das nicht mehr. Das Gesetz erlaubt es also, dass ich alleine ein Kind adoptiere, mit meinem Partner aber nicht. Das Kind soll also lieber nur einen statt zwei Elternteile haben. Finden Sie das logisch?
  • Dass das Adoptionsverbot für homosexuelle Paare eine Diskriminierung und rechtsstaatlich bedenklich ist, hat sogar die Rechtskommission des Nationalrats anerkannt. Aber auch der Europäische Menschenrechtshof ist dieser Ansicht.

So viel zu den Fakten.

Geradezu an menschenverachtender Arroganz grenzt Ihre Aussage, dass es in der Politik Situationen gibt, wo man einmal verliert und ein anderes Mal gewinnt. Bitte was? Gerade Sie, als eine Person, die nicht zuletzt dank der Bekanntheit Ihres Vaters eine steile politische Karriere hinlegen konnten, sollten in dieser Frage etwas sensibilisierter sein. In dieser Frage geht es nicht um einen Fussballmatch wo man einmal gewinnt und einmal verliert. Es geht nicht um ein politisches Powerplay. Es geht nicht um eine Wahl in ein Parlament. Es geht um das Leben von Kindern! Es geht um verbaute Zukunftschancen von Kindern, die ohne Eltern aufwachsen, dies aber könnten! Es geht darum, Kindern Elternliebe zu verweigern! Können Sie allen ernstes einem Kind, das gerne bei zwei liebenden Eltern aufwachsen würde in die Augen schauen und sagen „tja, ich habe zwar keine Argumente, aber meine Grundhaltung will jetzt nicht, dass du die Chance auf Elternliebe erhälst, manchmal verliert man eben, Pech gehabt, Kumpel“?!

Die Fakten haben wir schliesslich behandelt. Aber da Sie aus „persönlicher Grundhaltung“ gegen die Aufhebung des Adoptionsverbotes sind, versuche ich es noch mit folgenden Überlegungen:

Stellen Sie sich vor, Sie und Ihre Partnerin würden gerne ein Kind adoptieren. Nun kommt das Parlament und sagt, dass es ein Adoptionsverbot für Wasserfallens geben sollte. Einen Grund dafür braucht es keinen, schliesslich ist das die persönliche Grundhaltung des Parlaments. Wäre das für Sie in Ordnung?

Oder stellen Sie sich vor, Sie leben mit einer Partnerin zusammen, die bereits ein Kind hat. Das Kind wächst bei Ihnen auf, nach zwölf Jahren verunfallt aber die Mutter des Kindes und stirbt. Sie können das Kind gesetzlich aber nicht adoptieren, weil das den Wasserfallens dieses Landes halt nicht erlaubt ist. Das Kind könnte Ihnen weggenommen werden. Pech gehabt, Mann, manchmal verliert man im Leben!

Wie Sie sehen gibt es also überhaupt keinen Grund, weder einen persönlichen, geschweige denn einen wissenschaftlichen, um das Adoptionsverbot aufrecht zu erhalten. Aus diesem Grund appelliere ich an Ihr liberales Gewissen (unnötige staatliche Verbote abzuschaffen), an Ihr wissenschaftliches Verständnis (Erkenntnisse sämtlicher Studien, dass Kinder bei homosexuellen Eltern gut aufwachsen), an Ihre menschlichen Gefühle (Kindern ein gutes zu Hause zu ermöglichen), an Ihr rechtsstaatliches Verständnis (keine gesetzliche Diskriminierung homosexueller Paare) und an Ihren gesunden Menschenverstand (alle oben genannten Punkte zusammen): Noch ist es nicht zu spät! Im Parlament sind zwei Motionen hängig, die Adoptionsrechte für homosexuelle Paare fordern.

Ich bitte Sie, Ihrer liberalen Etikette gerecht zu werden und beiden Motionen zuzustimmen und dieses Land zu einem fortschrittlichen und besseren Ort zu machen, wo das Kindeswohl und keine konservativen Denkweisen im Vordergrund stehen!

Besten Dank!

Freundliche Grüsse

Alan David Sanginés

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