9 08, 2015

Die Weltwoche: Oase der Halbwahrheiten

2015-08-09T17:07:20+02:009. August 2015|

„Eritrea, ‚Oase des Friedens’“ – So der Titel eines kürzlich erschienen Artikels in der Weltwoche. Das rechtskonservative Wochenmagazin wird damit seinem Slogan „Achtung: Kann vorhandene Vorurteile gefährden“ gerecht. Denn was ich bei diesem Artikel zu lesen bekam, korrigierte meine Vorurteile tatsächlich. Vorher hatte ich die Weltwoche einfach für ein rechtes Blättchen gehalten, das aus allen Rohren Wahlkampfthemen der SVP feuert. Okay, dieses Vorurteil wurde natürlich nicht korrigiert. Die Schweizerische Volkspartei ruft offen zu Widerstand gegen Asylunterkünfte auf, und der Chefredakteur des Blattes will ins Parlament. Deshalb tut die Weltwoche nun alles, um die Flammen einer herbeigeredeten Asylhysterie am lodern zu halten. Wie dreist sie sich dabei an Halbwahrheiten bedient, hätte ich mir aber nie erträumen lassen. Denn genau das tut sie bei ihrem Sperrfeuer gegen Asylsuchende aus Eritrea.

Wie man aus Flüchtlingen Wirtschaftsmigranten macht

Die Rechten haben die Asylpolitik (zum siebenhundertfünfundzwanzigtausendstenmal) zum Wahlkampfthema Nummer 1 erklärt Die Asylhysteriker haben jedoch ein Problem: Früher konnten sie munter behaupten, echten Flüchtlingen helfen zu wollen, nicht aber Wirtschaftsflüchtlingen, Momentan stellen jedoch vor allem Menschen aus Krisenregionen Asylgesuche in der Schweiz. Allen voran Menschen aus Eritrea. Im afrikanischen Land herrscht ein Schreckensregime, das seine Bürger terrorisiert. Kein europäisches Land schickt Flüchtlinge aus Eritrea zurück. Es ist weltweit als „Nordkorea von Afrika“ bekannt.

Nicht so in der Parallelwelt der Rechten. Um die Akzeptanz für eritreische Flüchtlinge im Volk möglichst zu senken und die Asylhysterie am kochen zu halten, werden Asylsuchende aus Eritrea kurzerhand als „Wirtschaftsmigranten“ bezeichnet (oder noch besser „illegale Wirtschaftsmigranten“, wie Roger Köppel stets mit dramatischem Unterton wiederholt). Sie hätten in Eritrea nichts zu befürchten, behaupten sie.

Halbwahrheit 1: die Pro-Eritrea-Demo

Im Artikel „Eritrea: ‚Oase des Friedens’“ empörte sich die Weltwoche darüber, dass die Medien eine Demonstration von regimetreuen Eritreern vor der UNO komplett ignoriert hätten. Beeindruckt berichtete das Magazin von „über tausend Eritreern“, die in Genf gegen einen UNO-Bericht demonstrierten, welcher der Menschenrechtslage in Eritrea ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt hatte. Ein Bericht, der gemäss der Weltwoche „aus der Feder von Sheila Keetharuth, Chefin der UNO-Untersuchungskommission für Menschenrechte in Eritrea und frühere Aktivistin von Amnesty International“ stamme. Das ist nicht ganz korrekt. Der Chef der Untersuchungskommission ist nämlich der Australier Mike Smith und nicht Sheila Keetharuth, die am Bericht nur mitarbeitete. Sie ist Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Eritrea und hat in dieser Funktion in der Vergangenheit bereits zwei Berichte über die katastrophale Menschenrechtslage in Eritrea veröffentlicht. Wahrscheinlich deshalb schoss die Weltwoche sie in früheren Artikeln bereits an (siehe weiter unten). Praktisch, Zweifel am Bericht aufkommen zu lassen, indem man Keetharuth ganz einfach als Chefin der Untersuchungskommission bezeichnet, gälled, liebe Weltwoche.

Aber zurück zum Artikel. Die Weltwoche lässt ein paar Eritreer zu Wort kommen, die das Regime in Eritrea verteidigen. Die einen bemängeln, dass die Ermittler der UNO nicht in Eritrea gewesen seien. Dabei verschweigt die Weltwoche, dass es Eritrea war, das ihnen den Zugang verweigerte. Ein anderer Eritreer bezeichnet den jahrelangen Zwangsdienst für alle Bürgerinnen und Bürger als „Ausdruck der Selbstverteidigung“. Ein jahrelanger, möglicherweise lebenslänglicher Militärdienst oder die Zuweisung in einen Nationaldienst, wo man nicht entscheiden kann, was, wie lange und wo man arbeitet, soll also Ausdruck der Selbstverteidigung sein. Natürlich hinterfragt die Weltwoche diese Sichtweise nicht. Sie empört sich nur darüber, dass niemand über diese Demonstranten berichtet. „Kein einziger Bericht“ sei in den nächsten Tagen über die „Grossdemo“ geschrieben worden. Jawohl, da demonstrieren über tausend Regimefreunde für ein Regime in Eritrea und niemand berichtet darüber. Was für eine Frechheit.

Was die Weltwoche ebenfalls verschwieg: ein paar Tage darauf hielten über 5’000 Menschen eine Gegendemonstration. 5’000, also fünfmal mehr als jene Menschengruppe, die in der Weltwoche gross und breit zu Wort gekommen waren. Diese viel grössere Gruppe demonstrierte gegen das eritreische Regime und äusserte lautstark ihre Unterstützung für den vom eritreischen Regime (und der Weltwoche) verhassten UNO-Bericht.  Die Weltwoche verlor kein Wort darüber.

Einseitige Berichterstattung

Dass eine Zeitung nur die Anhänger eines Regimes zu Wort kommen lässt und alles andere verschweigt oder gar lächerlich macht, kennt man sonst eigentlich nur von totalitären Staaten. Staaten ohne Pressefreiheit. Staaten wie Eritrea. Und es sollte nicht der einzige Artikel bleiben, der viel behauptet und wesentliche Tatsachen verschweigt.

Halbwahrheit 2: der dänische Bericht

Zuvor hatte die Weltwoche bereits in einem Artikel ausführlich über einen Bericht der dänischen Migrationsbehörden berichtet. Der Bericht war zum Schluss gekommen, dass die Menschenrechtslage in Eritrea gar nicht so schlimm sei. Vorwurfsvoll warf die Weltwoche dem Staatssekretariat für Migration vor, diesen Bericht zu ignorieren und die Asylpraxis in Bezug auf Eritrea nicht anzupassen.

Was das Magazin selbstverständlich auch wieder verschwieg: Der dänische Bericht war zuvor unter heftigen Beschuss geraten. Zwei Mitarbeiter der dänischen Migrationsbehörden, die am Bericht mitarbeiteten, hatten zuvor gegen die angeblichen Befunde der Untersuchung protestiert und wurden deswegen krank geschrieben. Eine der wenigen namentlich zitierten Quellen des Berichts, Professor Gaim Kibreab, klagte sogar öffentlich, der dänische Bericht reisse seine Aussagen aus dem Kontext. Angesichts der heftigen Kritik räumten die dänischen Migrationsbehörden ein, dass selbst sie „Zweifel“ an ihrem eigenen Bericht hegten und Eritreer in Dänemark gute Chancen auf Asyl hätten. Bis heute schafft Dänemark keine Eritreer in ihr Heimatland aus.. All das verschwieg die Weltwoche natürlich, empörte sich aber umso mehr darüber, dass die Schweiz die Frechheit besitze, diesen dänischen Bericht nicht als Anstoss für einen Praxiswechsel zu nehmen.

Halbwahrheit 3: Fortschrittliches Eritrea

Die Weltwoche stellt Eritreer nicht nur pauschal als Wirtschaftsmigranten (pardon, illegale Wirtschaftsmigranten) dar, sie redet einen totalitären Willkürstaat auch noch schön. Dies beweist das Blatt etwa mit seinem Artikel „Eritrea ist besser als sein Ruf“. Darin schreibt der Autor, die „Fortschritte“, die Eritrea bei den UNO-Millenniumzielen erreicht hätte, zeigten, dass das Regime „nicht alles falsch machen würde“. Ja easy, unterwirf dein ganzes Volk einem Schreckensregime, foltere willkürlich Menschen, eliminiere die Pressefreiheit, führe Zwangsarbeit für alle ein, verbiete ihnen ohne schriftliche Genehmigung ihr Dorf oder gar ihr Haus zu verlassen und behandle Wehrdienstverweigerer als Staatsfeinde – solange du die Millenniumziele erreichst, machst du laut Weltwoche „nicht alles falsch“.

Die Rebellenonnen von Amnesty International

Alles falsch macht dafür die UNO-Sonderberichterstatterin für Menschenrechte in Eritrea, Sheila Keetharuth. Diese sei schliesslich früher eine Aktivistin von Amnesty International gewesen, empört sich die Weltwoche. Was für eine Frechheit. Eine Menschenrechtsaktivistin untersucht Menschenrechtsverletzungen. Das wäre ja so absurd, wie wenn ein Erziehungswissenschaftler das Lernverhalten von Kindern untersuchen würde. Wobei der Vorbehalt der Weltwoche auch bei Amnesty International liegen könnte. Schliesslich hätte die Organisation „in einer Geheimmission“ versucht, einige Personen in Eritrea zu stationieren, schreibt das Blatt. Eine Person sogar „als Nonne verkleidet“. Okay, das geht natürlich gar nicht. Was fällt Amnesty als Menschenrechtsorganisation ein, sich in einem Land stationieren zu wollen, das keine Menschenrechtler duldet? Was fällt Amnesty ein, verkleidet ein Land betreten zu wollen, das sogar Messias/Märtyrer/Schweizretter Christoph Blocher die Einreise verweigert hat?

Doch der Artikel hat noch mehr auf Lager: Der Weltwoche lägen demnach „Dokumente vor“, laut denen die Amnesty-Aktivisten den Sturz der Regierung vorbereiten wollten. Was für Dokumente das sein sollen, führt das Enthüllungsblatt natürlich nicht weiter aus. Man stellt sich vor, wie ein Weltwoche-Journalist in die von Nonnen bewachte, atombombenproduzierende Kommandozentrale dieser Menschenrechtsterroristen eindringt und in einer lebensbedrohlichen Aktion im Dienste der Weltwochen-Wahrheit geheime Revolutionspläne für Eritrea stiehlt. Undurchsichtigen Financiers Gott sei Dank gibt es noch die Journalisten der Weltwoche, die mutig für die Diktatorendavids gegen die Menschenrechtsgoliaths einspringen. Genau wie Messias/Märtyrer/Schweizretter Blocher damals, als er (in seiner Funktion als Justizminister) bei einem Türkeibesuch die türkische Regierung entzückte, als er ihr zuliebe den Schweizer Antirassismusartikel attackierte.

Erfolgreiche Halbwahrheiten

Dass es die Weltwoche mit den Fakten (oder mit den Quellenangaben) manchmal nicht so genau nimmt, ist ja bekannt. Der Presserat rügt die Weltwoche wohl häufiger, als Roger Köppel „illegale Wirtschaftsmigranten“ (dramatische Tonlage) sagen kann.

Bedenklich ist, dass sie mit ihrer Propaganda teilweise erfolgreich ist. Viele Menschen zweifeln plötzlich daran, ob Eritrea tatsächlich ein Schreckensregime ist. Natürlich liegt das nicht alleine an der Weltwoche, so relevant ist sie nun auch wieder nicht. Vertreterinnen und Vertreter einer vermeintlich christlichen Mittepartei fordern den Bundesrat plötzlich dazu auf, er solle die Lage in Eritrea doch bitte einmal analysieren (was er Anfang 2015 bereits gemacht hat).

In Gratiszeitungen darf der vom eritreischen Regime ernannte Propagandaminister Honorarkonsul Toni Locher unwidersprochen die Zustände in Eritrea schönreden. Und die Luzerner Kantonsregierung erdreistet sich sogar, von ihrer katastrophalen Finanzpolitik abzulenken sich in die Arbeit des Staatsekretariats für Migration einzumischen, indem sie keine Flüchtlingsanerkennung von Menschen aus Eritrea fordert. Und dies, obschon sowohl die UNO als auch sämtliche Menschenrechtsorganisationen Eritrea unisono als Schreckensregime betrachten und sogar „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ wittern. Die UNO geht mit dieser Bezeichnung ansonsten zurückhaltend um.

Fast am Ziel

Und dann, wenn genug Zweifel gestreut sind, wirft die Weltwoche dem Bund „Ablenkungsmanöver“ vor. So empört sie sich in einem weiteren Artikel darüber, dass der Bundesrat die Aufmerksamkeit auf syrische Flüchtlinge lenke. Dabei kämen ja mehr Flüchtlinge aus Eritrea, Somalia, Sri Lanka und Afghanistan als auch Syrien.

Der Bund schiebe Syrien bewusst vor. Denn, so gibt die Weltwoche zu, dort wüte ein heisser Krieg weswegen unzählige Menschen flüchten müssten. Dass der Chefredakteur der Weltwoche in einem wütenden Pamphlet vor ein paar Monaten zuvor aber die Mitteilung des Bundesrates, mehr Flüchtlinge aus Syrien in die Schweiz zu holen, attackierte, scheint dabei vergessen. Lieber ärgert sich die Weltwoche darüber, dass auch Menschen aus Eritrea, Sri Lanka, Somalia, Afghanistan oder Nigeria überhaupt Asylgesuche in der Schweiz stellen. Zumal die allerwenigsten von ihnen laut Weltwoche „effektiv verfolgt sein dürften“.

Das Magazin verschweigt selbstverständlich, dass Sri Lanker nach ihrer Ausschaffung aus der Schweiz gefoltert wurden. Oder die furchtbaren Al-Shabab-Milizen in Somalia, die ganze Dörfer abfackeln. Und auch die Taliban in Afghanistan. Oder die grausamen Boko-Haram-Milizen in Nigeria, gegen die wir weltweit protestieren, wenn sie Mädchen entführen. Aber eben, verfolgt können die Asylsuchenden von dort nicht sein. Es muss sich bei ihnen um (dramatischee Tonlage) „illegale Wirtschaftsmigranten“ handeln.

Vorurteile gefährdet?

Nein, es sind nicht die Vorurteile, die dieses Blatt gefährdet. Sondern den Wissensstand seiner Leserinnen und Leser. Menschen lesen eine Zeitung, um sich zu informieren. Doch die Weltwoche stillt deren Wissensdurst mit Halbwahrheiten. Die Folge: Man ist faktisch noch uninformierter oder sogar falsch informierter als zuvor. Genau so werden Zweifel gestreut und Vorurteile geschürt. „Vielleicht sollten Sie die Weltwoche abonnieren“, steht auf den Gratisexemplaren der Weltwoche. Vielleicht sollte das aber einfach gar niemand mehr tun.

 

PS: Wer wirklich an ein paar Fakten interessiert ist, soll sich einmal die Übersicht von Watson ansehen oder die Analyse des Tagesanzeigers lesen.

Mehr zum Thema: Video zur Diskussion vom 5. Mai 2015 zwischen einem JSVPler und mir zum Thema Asylpolitik.

4 03, 2015

Asyl Vs. AHV: Ein offener Brief an Frau Kälin

2015-03-04T13:48:11+01:004. März 2015|

Sehr geehrte Frau Kälin

Bitte verzeihen Sie mir die Ausdrucksweise. Aber Sie gehen mir auf den Keks. Und zwar gewaltig. Wahrscheinlich können Sie nicht einmal etwas dafür. Wahrscheinlich wussten Sie es nicht besser, als Sie einen empörten Leserbrief mit dem Titel „Hätten Sie es gewusst?“ einer Zeitung schickten. Wie hätten Sie damals wissen können, dass Ihr Leserbrief noch während Jahren im Internet mit grosser Empörung geteilt wird? Wie hätten Sie damals wissen können, dass Sie mit diesem Leserbrief zu einer Art Pin-Up-Dame für alle Asylkritiker würden? Wie hätten Sie wissen können, dass die Behauptungen und die Vergleiche in Ihrem Brief völlig falsch sind? Okay, den letzten Punkt kreide ich Ihnen schon ein wenig an.

In Ihrem Leserbrief schreiben Sie, dass „gemäss aktuellen Medienberichten“ die „armen Asylanten“ 56.- Franken Sozialhilfe pro Tag erhalten würden. Dies nehmen Sie zum Anlass, um einen wütenden Vergleich zu ziehen, bei dem Sie zum Schluss kommen, dass ein Rentnerpaar, das die AHV erhält, schlechter gestellt sei, als die „Asylanten“. Auf welche Medienberichte Sie sich da beziehen (und in welchem Zusammenhang diese Zahl hätte geschrieben werden können), interessiert keinen. Und Sie offenbar auch nicht. Denn sonst hätten Sie sich informiert, bevor Sie zur Feder griffen und diesen Unsinn verfassten. Und jetzt haben wir den Salat: Seit dieser Leserbrief (meines Wissens vor ca. 3 Jahren) veröffentlicht wurde, vergeht kaum ein Monat, ohne dass ich ihn zugeschickt bekomme oder auf irgendeiner Facebookseite mit empörten Kommentaren lesen muss. Die Geschichte ist perfekt. Die armen Grosis in diesem Land kämpfen ums Überleben, während böse „Asylanten“ das Geld nachgeworfen kriegen. Mit den Zeilen, dies sei „eine Ohrfeige für alle Rentner, die ein Leben lang gespart und gearbeitet haben“ bringen Sie die kochende Seele unserer Wutbürger auf den Punkt.

Übersehen wird dabei ein kleines, aber relevantes Detail: Was Sie schreiben ist Unsinn. Kompletter Unsinn. Und zwar in mehrfacher Hinsicht.

Behauptung 1: Asylsuchende erhalten 56.- pro Tag

Ich würde zu gerne den Asylsuchenden sehen, der 56.- pro Tag erhält. Verwirrt haben könnten Sie vielleicht Medienberichte darüber, dass die Kantone eine Pauschale von 56.- pro Asylsuchenden erhalten. Das ist aber eine Pauschale für den Kanton und nicht für die asylsuchende Person. Der asylsuchenden Person wird (wenn überhaupt) ein drei- bis fünfmal tieferer Betrag ausbezahlt. Dieser Betrag ist von Kanton zu Kanton verschieden. Eine gute Übersicht, der zu dem Zeitpunkt Ihres Leserbriefs gültigen Ansätze finden Sie hier. Wie Sie dabei selber feststellen werden, variieren die Beträge stark, sie übersteigen aber nie 17 Franken pro Tag. Daran hat sich bis heute nichts geändert. In der Stadt Zürich erhält eine asylsuchende Person heute 494.- pro Monat (also ca. 16.50.- pro Tag). Also dreimal weniger, als was Sie in Ihrem Brief behaupten.

Behauptung 2: Asylsuchende bekommen ja alles bezahlt

Sie und Ihr Wutbürgerchor könnten jetzt natürlich versucht sein, sich trotzdem zu echauffieren. Diese 16.50.- pro Tag seien immer noch viel, wenn man bedenkt, dass die „Asylanten“ Kleider, Essen, usw. „im Unterschied zu Schweizer“ bezahlt bekommen (wie Sie in Ihrem Brief ausführen). Auch diese Behauptung ist falsch. Zwar unterscheidet sich dies auch von Kanton zu Kanton. Aber von diesen 16.50.- pro Tag muss die asylsuchende Person in Zürich Essen, Kleider, Hygieneartikel, Haushalt, Tickets für den ÖV, etc. bezahlen. So. Und nun soll mir bitte mal jemand sagen, was an 16.50.- pro Tag für all diese Dinge zu viel sein soll.

Behauptung 3: Ohrfeige für Rentner, die jahrelang gearbeitet und gespart haben

Herzzerreissend empören Sie sich darüber, dass die Sozialhilfe für „Asylanten“ eine „Ohrfeige“ für all jene Rentnerinnen und Rentner in der Schweiz sei, die ihr Leben lang „gearbeitet und gespart“ hätten. Sie beklagen sich darüber, dass die ärmsten Rentnerinnen und Rentner 38.- pro Tag bekämen, obwohl sie „44 Jahre für diese AHV gearbeitet“ und bezahlt hätten.

Dieser Vergleich ist in mehrfacher Hinsicht Quatsch. Erst einmal gilt festzuhalten, dass in der Schweiz die Einzahlung in die Pensionskasse obligatorisch ist. Wer also 44 Jahre lang gearbeitet hat, sollte neben der AHV noch Pensionskassengelder erhalten, um den Lebensstandard halten zu können. Wenn Sie, gute Frau Kälin, und Ihr Mann keine Pensionskassengelder haben und nur von der AHV leben, dann stimmt etwas nicht. Natürlich kann es sein, dass Sie sich die Pensionskasse ausbezahlen lasen haben, zum Beispiel für den Kauf eines Hauses (was wiederum der Behauptung, Sie müssten im Unterschied zu Asylsuchenden Miete zahlen, widerspricht). Und wenn wir schon bei Pensionskassen sind. Es sind nicht die „SP-Politiker“ für die Sie „keine Sympathie“ übrig zu haben scheinen, welche dafür kämpfen, dass weniger Pensionskassengelder ausbezahlt werden. Das ist aber ein anderes Thema (können Sie gerne hier nachlesen). Aber selbst wenn Sie tatsächlich alleine von solch tiefen AHV-Beiträgen leben sollten, lässt der rentnerfeindliche Staat Sie nicht im Stich. Dann können Sie nämlich Ergänzungsleistungen für AHV Bezügerinnen und Bezüger beantragen. Darin enthalten sind übrigens auch Leistungen für die Krankenkasse (was die armen Rentnerinnen und Rentner gemäss Ihrem Schreiben angeblich selber zahlen müssten). Berechnen können Sie Ihre Ansprüche übrigens hier.

Exkurs AHV

Wenn wir schon dabei sind, erlauben Sie mir doch bitte einen kleinen Exkurs bezüglich Arbeit und Einzahlung in die AHV. Natürlich könnten auch Asylsuchende AHV Beiträge einzahlen, wenn sie arbeiten dürften. Das dürfen sie von Gesetzes wegen aber nicht. Und wem verdanken wir dieses Gesetz? Heisser Tipp: Nicht den Ihnen unsympathischen „SP-Politikern“. Asylsuchende Personen dürfen die ersten drei Monate in der Schweiz nicht arbeiten. Danach entscheiden die Kantone, ob sie arbeiten dürfen. In vielen Kantonen gilt aber auch dann noch der „Inländervorrang“. Dies bedeutet, dass eine Person mit dem Schweizer Pass oder aus dem EU Raum für eine Arbeitsstelle zuerst berücksichtigt werden muss, bevor eine asylsuchende Person in Frage kommt. Damit verunmöglicht man diesen Menschen praktisch, eine Arbeitsstelle zu kriegen. Und das, obwohl es wünschenswert für die Gesellschaft und für die Person wäre, wenn sie arbeiten könnte (also legal, nicht wie bei SVP-Nationalarat Hans Fehr). Davon würde natürlich auch unsere AHV profitieren. (es sei denn, es werden wie damals im Hause Hans Fehr keine AHV-Beiträge einbezahlt). Die AHV, die übrigens von den Ausländerinnen und Ausländer in diesem Land sehr profitiert wenn man bedenkt, dass diese 29% in die AHV einzahlen und 17% daraus beziehen.

Bitte entschuldigen Sie all diese Informationen. Es ist mir bewusst, dass dies etwas viele Fakten für das Wutbürgertum sind. Und natürlich eignen sich diese Fakten auch nicht, um dem Wutbürgertum Munition für seine Anti-Asyl-Parolen zu liefern. Dennoch sah ich mich gezwungen, Sie, liebe Frau Kälin (und mit Ihnen das gesamte Wutbürgertum), mit diesen Fakten zu belästigen. Hoffentlich merken Sie (und Ihre Fans) dabei, wie unsinnig und falsch Ihre Behauptungen und Vergleiche waren. Und wenn nicht, dann könnten diese Zeilen hoffentlich etwas dazu beitragen, die Flammen Ihres ungerechtfertigten Lauffeuers etwas einzudämmen.

Freundliche Grüsse

Alan David Sangines

28 08, 2014

Mehr Syrien Flüchtlinge für die Schweiz

2014-09-02T15:37:07+02:0028. August 2014|

Am 27. August 2014 stimmte der Gemeinderat der Stadt Zürich dem Vorstoss von mir, Mathias Probst (Grüne) und Ezgi Akyol (AL) der eine Schweizer Kontingentserhöhung für Syrienflüchtlinge und eine Lockerung der Einereisebestimmungen für Menschen aus Syrien fordert, mit 80 zu 42 zu.

Die Begründung des Vorstosses kann hier angehört werden.

26 09, 2012

Danke Ensy (Nachtrag zum offenen Brief)

2013-10-15T15:45:19+02:0026. September 2012|

Ensy hat auf meinen offenen Brief reagiert und in der Kommentarfunktion persönlich Stellung genommen:

ENSY schrieb am 26. September 2012 09:50:

Hallo Alan 

Ich habe deinen offenen Brief nun durchgelesen. Ich bin der gleichen Meinung, dass Beleidigungen und Diskriminierung schlecht sind. Darauf können wir uns definitiv einigen. desweiteren möchte ich mich hier mit meinem öffebntlichen Statement bei Dir und bei vielen anderen Schwulen, die durch meinen Beihtrag verletzt wurden entschuldigen:

Ich möchte mich ausdrücklich und in aller Form bei allen Leuten, die sich durch meinen Post beleidigt fühlen, entschuldigen. Meine Einstellung zu Homosexuellen ist eher kritisch, nichts desto trotz ist meine Wortwahl im vorgestrigen Facebook-Beitrag unverzeihlich. Ich bin gegen jegliche Form von Diskriminierung und distanziere mich hiermit von den radikalen Aussagen und Beleidigungen explizit.

Freundliche Grüsse
Ensy

Weiter hat er sich sowohl auf seiner Facebookseite als auch gegenüber tillate/20min und Joiz öffentlich und deutlich für seine Aussagen entschuldigt. In einem Telefongespräch hat er mir auch  versichert, dass seine Aussagen eine Affekthandlung waren und keineswegs seine wirkliche Haltung gegenüber Homosexuellen repräsentiere. Der Vorfall habe ihm auch die Augen geöffnet. Er respektiere uns und spreche sich deutlich gegen Diskriminierungen jeglicher Art aus.

Wie ich bereits mehrmals geschrieben habe, sollten wir Diskriminierungen gemeinsam bekämpfen, statt uns gegenseitig zu bekriegen. In meinem Brief an Ensy habe ich ihm darum die Hand ausgestreckt und den Vorschlag gemacht, gegen jegliche Form von Diskriminierungen zu sein.  Unter den Reaktionen darauf waren viele, die dies „bei Menschen wie ihm“ als sinnlos erachteten. Ensy hat den Vorschlag aber angenommen und damit auch all jenen, die dies nicht für möglich gehalten hätten gezeigt, dass der Versuch, aufeinander zuzugehen der bessere Weg ist, statt in den Schützengräben zu verharren. Dafür ist ihm grossen Respekt zu zollen und ich hoffe, dass dies einen positiven Effekt gegen Homphobie in unserem Land hat.

Jede und jeder von uns hat sich schon unüberlegt geäussert. Gerade in Social-Media-Zeiten werden unüberlegte Aussagen schnell und leicht gemacht. Weniger leicht ist es, genauso öffentlich zu einem Fehler zu stehen und sich von gemachten Aussagen zu distanzieren. Ensy hat hier eindeutig Grösse bewiesen.

Auch wenn diese Angelegenheit nun eine erfreuliche Wendung genommen hat, ist klar, dass gegen Homophobie noch viel unternommen werden muss. Auch in der vermeintlich toleranten Schweiz ist es dafür noch ein weiter Weg. Aber auch wenn dieser Weg weit ist, er ist machbar. Ereignisse wie diese zeigen es.

 

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